BGH v. 17.7.2025 - I ZR 243/24

Unzulässigerklärung der Vollstreckung aus einem Unterlassungstitel wegen Entfalls der Sachbefugnis eines Gläubigers durch Gesetzesänderung

Die Vollstreckung aus einem Unterlassungstitel kann im Verfahren nach § 767 ZPO für unzulässig erklärt werden, wenn durch eine Gesetzesänderung die Sachbefugnis eines bestimmten Gläubigers entfällt. Die Überleitungsvorschrift des § 15a Abs. 1 UWG regelt allein die zeitlich beschränkt fortbestehende Klagebefugnis und Anspruchsberechtigung von Wirtschaftsverbänden für die Verfolgung von Ansprüchen aus § 8 Abs. 1 UWG im Erkenntnisverfahren bis zur Beendigung bereits anhängiger Rechtsstreitigkeiten. Die Vorschrift trifft weder zum Zwangsvollstreckungsverfahren noch zur Vollstreckungsabwehrklage eine Regelung.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein Unternehmen aus dem Bereich des Tierfachhandels. Der Beklagte ist ein eingetragener Verein, dessen Vereinszweck ausweislich der Satzung die umfassende Förderung insbesondere der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen deutscher Online-Unternehmer und Online-Freiberufler zum Inhalt hat. Der Beklagte ist (bislang) nicht in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände gem. § 8b UWG eingetragen. Er stellte einen Eintragungsantrag, der durch das Bundesamt für Justiz noch nicht beschieden ist.

Die Klägerin wurde auf die Klage des Beklagten durch rechtskräftiges Urteil des LG Krefeld vom 4.11.2020 wegen Verstößen gegen die Preisangabenverordnung zur Unterlassung verurteilt. Am 19.4.2024 stellte der Beklagte einen Ordnungsmittelantrag. Die Klägerin erhob Vollstreckungsabwehrklage mit der Begründung, der Beklagte sei nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs mangels Eintragung in die vom Bundesamt für Justiz geführte Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nicht mehr anspruchsberechtigt. Sie beantragte - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse -, die Vollstreckung aus dem Urteil des LG Krefeld vom 4.11.2020 (11 O 80/19) für unzulässig zu erklären, solange der Kläger nicht in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände des Bundesamts für Justiz nach § 8b UWG eingetragen ist. 

Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Berufung gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Die Klägerin kann der Vollstreckbarkeit des rechtskräftigen Urteils des LG Krefeld vom 4.11.2020 mit Erfolg die aufgrund der Änderung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG und der (bislang) fehlenden Listeneintragung entfallene Sachbefugnis des Beklagten entgegenhalten.

Die Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO dient dem Ausgleich der Formalisierung des Zwangsvollstreckungsverfahrens, in dem der Vollstreckungstitel der maßgebliche Ausgangspunkt ist und keine Möglichkeit besteht, den Bestand des titulierten Anspruchs zu überprüfen. Die Klage nach § 767 ZPO ist ein Erkenntnisverfahren außerhalb des Vollstreckungsverfahrens, in dem unter den Voraussetzungen des § 767 Abs. 2 ZPO Veränderungen der materiell-rechtlichen Beurteilung des dem Titel zugrundeliegenden Anspruchs geltend gemacht werden können. Dabei zielt § 767 ZPO nicht auf eine Durchbrechung der materiellen Rechtskraft des angegriffenen Titels, die auch bei einem Erfolg der Vollstreckungsabwehrklage unberührt bleibt, sondern auf die vollständige, teil- oder zeitweise Beseitigung der Vollstreckbarkeit des Titels durch rechtsgestaltendes Urteil.

Zu den Einwendungen, die eine Vollstreckungsabwehrklage gegen einen in der Hauptsache titulierten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch begründen können, gehören grundsätzlich auch - wie hier - Gesetzesänderungen. Eine nachträgliche Gesetzesänderung kann die Vollstreckungsabwehrklage jedenfalls dann begründen, wenn der in Rede stehende Vollstreckungstitel nicht lediglich auf eine einmalige Leistung, etwa auf Zahlung eines bestimmten Betrags, sondern auf wiederkehrende Leistungen gerichtet ist. Ein solcher Titel, namentlich ein Unterlassungstitel, wirkt in die Zukunft und kann in dieser Wirkung von einer späteren Gesetzesänderung betroffen sein. Die Vollstreckung aus einem Unterlassungstitel kann deshalb für unzulässig erklärt werden, wenn das dem Titel zugrundeliegende Verbot durch eine Gesetzesänderung weggefallen ist. Entsprechendes gilt, wenn durch die Änderung zwar nicht das Verbot, aber die Sachbefugnis eines bestimmten Gläubigers entfällt.

Danach kann die Klägerin die durch die Änderung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG und die bislang fehlende Eintragung in die Liste nach § 8b UWG (derzeit) weggefallene Sachbefugnis des Beklagten erfolgreich mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen. Der Beklagte ist (bislang) nicht in die Liste nach § 8b Abs. 1 UWG eingetragen. Ihm steht damit (derzeit) keine materielle Anspruchsberechtigung für einen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG zu. Die Überleitungsvorschrift des § 15a Abs. 1 UWG, nach der § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG nicht auf Verfahren anzuwenden ist, die am 1.9.2021 bereits rechtshängig sind, führt entgegen der Auffassung des OLG sowie der vom Beklagten in der Berufungsbegründung zitierten Entscheidungen nicht dazu, dass die Sachbefugnis des Beklagten im Verfahren nach § 767 ZPO nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. zu beurteilen wäre.

Nach dem Wortlaut des § 15a Abs. 1 UWG zur Anwendung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. in Übergangsfällen regelt die Vorschrift allein die zeitlich beschränkt fortbestehende Klagebefugnis und Anspruchsberechtigung für die Verfolgung von Ansprüchen aus § 8 Abs. 1 UWG im Erkenntnisverfahren bis zur Beendigung bereits anhängiger Rechtsstreitigkeiten noch zur Vollstreckungsabwehrklage eine Regelung. Diese Auslegung wird durch den vom Gesetzgeber mit dem späteren Inkrafttreten des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG im Zusammenspiel mit der Überleitungsvorschrift des § 15a Abs. 1 UWG verfolgten Zweck bestätigt. Diese beiden Übergangsregelungen dienen allein dem Zweck, den Verbänden Zeit zu geben, die Eintragung in die Liste gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 8b UWG zu erreichen. Eine spätere Vollstreckungsabwehrklage wird davon nicht erfasst.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 767 Vollstreckungsabwehrklage
Herget in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.08.2025 13:46
Quelle: BGH online

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