BVerfG v. 23.6.2025 - 1 BvR 1718/24

Klageeinreichung per Post: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde betreffend Nutzungspflicht des beSt im Januar 2023

Hat ein Steuerberater im Januar 2023 eine Klage fristgemäß auf dem Postweg, jedoch nicht fristgerecht in der seit dem 1.1.2023 vorgeschriebenen elektronischen Form über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) eingereicht, weil er zu diesem Zeitpunkt noch keinen Brief mit Registrierungscode für die Einrichtung des beSt-Zugangs erhalten hat, so ist ihm Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Die von der Bundessteuerberaterkammer eingeräumte Möglichkeit zur vorzeitigen Beantragung eines Registrierungsbriefs (sog. "Fast Lane") ändert an dieser Einschätzung nichts.

Der Sachverhalt:
Durch Neuregelungen im Steuerberatungsgesetz ist die Bundessteuerberaterkammer verpflichtet, für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach (beSt) als Instrument der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten empfangsbereit einzurichten. Die Regelungen über das beSt waren erstmals nach Ablauf des 31.12.2022 anzuwenden. Im Herbst 2022 gab die Bundessteuerberaterkammer bekannt, dass es ihr nicht möglich sei, die Steuerberater bereits zum 1.1.2023 mit einem beSt-Zugang auszustatten; der Versand der Briefe mit dem Registrierungscode beginne erst im Januar 2023. Gleichzeitig stellte die Kammer eine Möglichkeit zur vorzeitigen Beantragung eines Registrierungsbriefs bereit (sog. "Fast Lane").

Der Beschwerdeführer erhob im Januar 2023, innerhalb der laufenden Klagefrist, vertreten durch seine Steuerberaterin auf dem Postweg Klage. In einem der Klageschrift beigefügten Anschreiben führte die bevollmächtigte Steuerberaterin aus, ihr sei eine elektronische Einreichung der Klage über das beSt aufgrund des noch fehlenden Registrierungsbriefs nicht möglich.

Das FG wies die Klage ab. Unter Verweis auf einen Beschluss des BFH vom 28.4.2023 führte es aus, die höchstrichterliche Rechtsprechung vertrete die Auffassung, dass Steuerberater ab dem 1.1.2023 zur aktiven Nutzung des beSt verpflichtet seien. Die beantragte Wiedereinsetzung in die Klagefrist sei nicht zu gewähren. Die bevollmächtigte Steuerberaterin hätte die Möglichkeit gehabt, über die "Fast Lane" eine vorgezogene Versendung des Registrierungsbriefs innerhalb weniger Tage zu erwirken. Ihr habe auch klar sein müssen und ihr sei es ausweislich ihres Anschreibens zur Klageschrift auch klar gewesen, dass sie ab dem 1.1.2023 nur noch in elektronischer Form werde Klage erheben könne. Der BFH wies die von dem Beschwerdeführer eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurück.

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers, mit der dieser vor allem eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG rügt, hatte Erfolg. Das BVerfG hob das Urteil des FG und den Beschluss des BFH über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde auf und verwies die Sache an das FG zur Fortsetzung des Verfahrens zurück.

Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie entspricht insbesondere den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes. Die Informationslage zum Zeitpunkt der Klageerhebung legte die Stellung eines - bis dahin explizit als freiwillig bezeichneten - "Fast Lane"-Antrags unter Subsidiaritätsgesichtspunkten nicht nahe. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.

Das klageabweisende Urteil verletzt das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Das FG hat die Gewährung einer Wiedereinsetzung unzumutbar erschwert und die hieran zu stellenden Anforderungen überspannt. Soweit es aus dem der Klageschrift beigefügten Anschreiben folgert, der Prozessbevollmächtigten sei ihre Pflicht zur Nutzung des beSt positiv bekannt gewesen, misst es den dortigen Ausführungen einen Sinn bei, der sich nicht belegen lässt. Der Inhalt des Anschreibens ist auch mit einem Rechtsstandpunkt vereinbar, wonach die beSt-Nutzungspflicht erst ab Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs beginne.

Im Hinblick auf den Vorwurf der Fahrlässigkeit hätte das FG den Verschuldensvorwurf näher begründen und sich hierbei vor allem damit auseinandersetzen müssen, dass zum Jahreswechsel 2022/2023 eine komplexe Übergangssituation aufgetreten war, nachdem entgegen der gesetzlichen Vorgabe zum Jahresbeginn 2023 eine flächendeckende Freischaltung der beSt-Zugänge nicht möglich und daher auch nicht erfolgt war. Es hätte erörtern müssen, dass - was der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag auch geltend macht - die Bundessteuerberaterkammer während des Jahres 2022 in ihrem Hinweisschreiben und auf ihrer Homepage und auch zu Beginn des Jahres 2023 durchgehend verlautbart hatte, dass die Pflicht zur Nutzung des beSt erst mit Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs beginne. Zwar bestand die Möglichkeit eines "Fast Lane"-Verfahrens, allerdings hatte die Kammer dieses bis Ende Januar 2023 stets als "freiwillig" deklariert.

Die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BFH verletzt das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des Beschwerdeführers. Soweit der Beschwerdeführer in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt hat, warum das FG den Sinn der Ausführungen in dem Anschreiben zur Klageschrift missdeutet habe, handelte es sich um Kernvortrag zu einer für das Verfahren zentralen Frage. Gleichwohl hat der BFH sich mit diesen Kernvortrag nicht argumentativ auseinandergesetzt und diesen nicht verbeschieden. 

Mehr zum Thema:

Literatur
Rechtsprechung des BFH hat zum beSt und zur digitalen Prozessführung
Dieter Steinhauff, AO-StB 2025, 30
AOSTB0074165

Rechtsprechung
Übermittlung elektronischer Dokumente durch Steuerberater ab dem 1.1.2023
BFH vom 16.01.2024 - VIII B 141/22
Dieter Steinhauff, AO-StB 2024, 66
AOSTB0064578

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.07.2025 12:05
Quelle: BVerfG PM Nr. 64 vom 18.7.2025

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