BGH v. 27.3.2025 - I ZB 68/24

Zweites Versäumnisurteil: Keine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters bei Nichteinholung einer Vorabentscheidung des EuGH

Es verletzt nicht die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn das erstinstanzliche Gericht vor Erlass eines zweiten Versäumnisurteils aufgrund des Unterbleibens einer erneuten Schlüssigkeitsprüfung nicht eine Vorabentscheidung des EuGH gem. Art. 267 AEUV einholt oder den Rechtsstreit entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO mit Blick auf ein laufendes Vorabentscheidungsverfahren aussetzt und das Berufungsgericht ein solches zweites Versäumnisurteil aufgrund des nach §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf das (Nicht-)Vorliegen einer schuldhaften Versäumung beschränkten Prüfungsumfangs nicht aufhebt. Unter Berücksichtigung der bereits ergangenen Rechtsprechung des EuGH unterliegt es keinem Zweifel, dass der nach §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzte Prüfungsumfang gegenüber einem Gewerbetreibenden auch dann angewendet werden darf, wenn die Sachentscheidung, die dann nicht mehr zu überprüfen ist, gegen das Unionsrecht verstieße.

Der Sachverhalt:
Der Kläger hat vor dem LG die Rückzahlung von verlorenen Einsätzen i.H.v. rd. 11.000 € geltend gemacht, die er bei Online-Glücksspielen der in Malta ansässigen Beklagten seit dem 19.3.2021 getätigt hatte. Die Beklagte beantragte die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-440/23 oder ein eigenes Vorabentscheidungsersuchen des LG.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung erschien für die Beklagte niemand. Das LG erließ auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte. Hiergegen legte die Beklagte Einspruch ein. Im darauf anberaumten Verhandlungstermin erschien für die Beklagte wiederum niemand. Das LG erließ daraufhin auf Antrag des Klägers ein zweites Versäumnisurteil. Mit ihrer gegen das zweite Versäumnisurteil eingelegten Berufung beantragte die Beklagte eine Vorlage an den EuGH mit Blick auf den Erlass des zweiten Versäumnisurteils durch das LG. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die angegriffene Entscheidung verletzt nicht die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Insbesondere zeigt die Rechtsbeschwerde keine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage auf, soweit sie meint, das LG sei vor Erlass des zweiten Versäumnisurteils zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH gem. Art. 267 AEUV oder Aussetzung des Rechtsstreits entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO mit Blick auf ein laufendes Vorabentscheidungsverfahren verpflichtet gewesen und das OLG hätte das zweite Versäumnisurteil wegen Missachtung dieser Verpflichtung des LG aufheben müssen.

Gem. §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein zweites Versäumnisurteil der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Nach ständiger BGH-Rechtsprechung hat das Gericht im Einspruchstermin nur noch die Voraussetzungen der wiederholten Säumnis, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum Termin, zu prüfen, bevor es nach § 345 ZPO den Einspruch durch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen hat. Die Berufung gegen ein gegen den Beklagten ergangenes zweites Versäumnisurteil kann dementsprechend nicht darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe oder die Klage nicht schlüssig sei. Die an die wiederholte Säumnis einer Partei geknüpfte Sanktion des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO soll eine Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, im Interesse der Prozessbeschleunigung zu besonders sorgfältiger Prozessführung veranlassen. Bleibt die Partei erneut schuldhaft säumig, ist es nur konsequent, an dieses Fehlverhalten die schärfere Sanktion des endgültigen Prozessverlusts zu knüpfen. Auch auf eine unterbliebene Verfahrensaussetzung kann die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil nicht gestützt werden.

Danach hat weder das LG bei der Prüfung des Einspruchs der Beklagten noch das OLG die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt. Vielmehr haben beide vorinstanzlichen Gerichte im Einklang mit der ständigen BGH-Rechtsprechung entschieden, indem sie die Schlüssigkeit der Klage - einschließlich der Vereinbarkeit des vom LG zuerkannten Anspruchs mit der Dienstleistungsfreiheit der Beklagten aus Art. 56 AEUV - nicht erneut geprüft, dementsprechend auch keine Vorabentscheidung des EuGH gem. Art. 267 AEUV eingeholt und den Rechtsstreit auch nicht entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt haben.

Auch mit Blick auf das einschlägige Unionsrecht ergibt sich keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Unter Berücksichtigung der bereits ergangenen Rechtsprechung des EuGH unterliegt es keinem Zweifel, dass der nach §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf das (Nicht-)Vorliegen einer schuldhaften Versäumung begrenzte Prüfungsumfang gegenüber einem Gewerbetreibenden auch dann angewendet werden darf, wenn die Sachentscheidung, die dann nicht mehr zu überprüfen ist und die auch der Senat im Streitfall nicht überprüft hat, gegen das Unionsrecht verstieße.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.05.2025 11:46
Quelle: BGH online

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