LG Göttingen v. 1.9.2023 - 4 O 78/23

Entschädigung nach § 58 TKG wegen fehlender Mobilfunk-Netzabdeckung

Eine Störung iSv. § 58 Abs. 1, 3 TKG ist auch dann anzunehmen, wenn ein Sendemast ausgefallen ist und dessen Sendegebiet teilweise von anderen Stationen mitabgedeckt wird, solange ein Bereich verbleibt, der keine Netzabdeckung mehr bietet. Ein vollständiger Dienstausfall iSv. § 58 Abs. 1, 3 TKG ist bereits dann anzunehmen, wenn eine der vertraglich geschuldeten Leistungen (hier: Mobilfunktelefonie) nicht genutzt werden kann, da die Vorschrift insoweit keinen vollständigen Ausfall aller vertraglich geschuldeter Leistungen erfordert. Die Möglichkeit, mittels WLAN Anrufe tätigen zu können, lässt eine Entschädigungspflicht unberührt.

Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um eine Entschädigung nach § 58 Abs. 3 TKG. Der Kläger ist Verbraucher iSd. TKG und die Beklagte Anbieterin eines öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienstes.

Im Februar 2022 konnte der Kläger in seiner Wohnung und deren Umfeld nicht per Mobiltelefon telefonieren. Der Kläger behauptet, es sei ab dem 17.2.2022 vermutlich aufgrund eines Sturmes zum Ausfall der am Sendemast auf dem Kreishaus in G installierten Mobilfunknetztechnik des O-Mobilfunknetzes gekommen. Im März 2022 meldete der Kläger einen vollständigen Netzausfall der Beklagten.

Der Kläger verlangt für die Zeit vom 25.3.2022 bis zum 31.12.2022 eine Entschädigung iHv. insgesamt 2.810 €.

Die Beklagte lehnte die Zahlung einer Entschädigung ab. Hinsichtlich des behaupteten Ausfalles des Mobilfunknetzes des streitgegenständlichen Sendemastes sei davon auszugehen, dass dieses aufgrund der wechselnden Störungen anderer Stationen zeitweilig ausgelastet gewesen sei, was vom Kunden als vermeintlich anhaltende Störung empfunden worden sein könne.

Ferner bestehe kein Anspruch, weil kein vollständiger Ausfall der von der Beklagten geschuldeten Dienste vorgelegen habe, da u.a. eine Nutzung von WLAN und damit verbunden eine Telefonie über ebenjenes hätte erfolgen können.

Die Klage vor dem LG hatte Erfolg.

Die Gründe:
Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von 2.810 € ergibt sich aus § 58 Abs. 1, 3 TKG. Der Begriff Störung ist umfassend zu verstehen und liegt auch dann vor, wenn die eingesetzte Technik die ihr zugedachten Funktionen nicht mehr richtig oder vollständig erfüllen kann. Dies ist hier anzunehmen. Zwar hat die Beklagte den vom Kläger behaupteten Ausfall des Sendemastes an dessen Wohnort bestritten, gleichwohl aber dargelegt, dass aufgrund wechselnder Störungen anderer Stationen im näheren Umkreis die den Kläger "versorgende" Basisstation zeitweilig ausgelastet gewesen sei, was vom Kunden als vermeintlich anhaltende Störung empfunden worden sein könne.

Letztlich macht dies aber für die Annahme einer Störung keinen Unterschied, da Anspruchsvoraussetzung gerade nicht ein Ausfall eines (bestimmten) Sendemastes ist, sondern nur die technisch bedingte, vom Anbieter nicht gewollte Veränderung im Sinne einer nicht mehr richtigen oder vollständigen Funktion.

Die Störung führte vorliegend zu einem vollständigen Dienstausfall im Sinne der Vorschrift. Vollständiger Dienstausfall meint gänzliche Nichtverfügbarkeit des Dienstes. Dies bedeutet aber nicht, dass der vollständige Ausfall im Sinne der Vorschrift nur dann anzunehmen wäre, wenn alle in einem Vertrag geschuldeten Leistungen nicht mehr möglich wären.

Mit "Telekommunikationsdienst" iSv. § 3 Nr. 61 TKG ist nicht die Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Leistungen gemeint, sondern die jeweilige einzelne Leistung, die vertraglich vereinbart ist - im Falle eines klassischen Mobilfunkvertrages also die Möglichkeit, im Mobilfunknetz Telefonate zu tätigen. Ein Ausfall des Dienstes "Telefonie über Mobilfunk" im Sinne der Vorschrift ist hier gegeben. Denn der Kläger konnte unstreitig im streitgegenständlichen Zeitraum in seiner Wohnung mit den genannten Telefonnummern aufgrund der o.g. Störung nicht telefonieren.

Der vollständige Dienstausfall wird hier auch nicht dadurch kompensiert, dass der Kläger außerhalb der klägerischen Wohnung telefonieren konnte. Das Wesen der Mobiltelefonie ist die Möglichkeit, zu jeder Zeit und an jedem Ort telefonieren zu können, ohne dafür den Ort wechseln zu müssen. Gerade wenn ein Mobiltelefon, was heutzutage keinesfalls mehr unüblich ist, als Ersatz für ein Festnetztelefon genutzt wird, ist die Nutzbarkeit innerhalb der eigenen Wohnung - beispielsweise auch im Falle eines Notfalles - ein wesentlicher Umstand und führt gerade nicht dazu, dass der Dienst damit nicht vollständig ausgefallen wäre. Es ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, dass der Dienst in einem bestimmten "Mindestradius" vollständig ausgefallen ist, denn aufgrund des von der Beklagten geschilderten Umstandes, dass Mobilfunkzellen sich überlappen und damit auch bei Ausfall einer Station Randbereiche des Versorgungsgebietes der Station noch versorgt werden könnten, verbliebe dann kein nennenswerter Anwendungsbereich der Norm mehr. Ein vollständiger Dienstausfall ist daher anzunehmen, wenn dem Mobilfunknutzer der Dienst Telefonie innerhalb seiner Wohnung für einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum insgesamt nicht mehr möglich ist.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, eine Telefonie sei über WLAN möglich gewesen, so stellt die Telefonie über das Internet einen eigenen Dienst dar, der aber keinen Entfall des Anspruches auf eine Entschädigung nach sich zieht.

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Aufsatz:
Mobilfunkverträge: Neuere Entwicklungen zur Stärkung der Verbraucherrechte
Kerstin Diercks-Harms, MDR 2023, 1286

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.11.2023 14:15
Quelle: Justiz Niedersachsen online

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