Aktuell im ITRB

Microtargeting staatlicher Stellen (Gafus, ITRB 2022, 230)

Microtargeting als Möglichkeit, Informationen nur spezifisch zusammengestellten Personengruppen zur Verfügung zu stellen, birgt erhebliches Manipulationspotential. Die Öffentlichkeit lässt sich weiter fragmentieren, ihre Meinungsbildung manipulieren und damit letztlich womöglich gar eine Wahl sabotieren, wie im Zuge des Cambridge Analytica-Skandals im Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl 2016 öffentlich breit diskutiert wurde. Zugleich bietet Microtargeting auch Chancen, staatliches Informationshandeln effizienter zu machen und Ressourcen zu schonen.


I. Phänomen Microtargeting

1. Begriffsbestimmung

a) Verwendeter Datensatz

b) Differenzierungsgrad der Informationen zu einem Thema

c) Dark Ads: Allgemeinzugänglichkeit der Information

d) Erkennbarkeit des Absenders und des Microtargetings

2. Realbereich: Fälle von Microtargeting in Deutschland

3. Microtargeting als vierte Dimension staatlicher Informationstätigkeit

II. Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Microtargetings

1. Allgemeine Grundsätze staatlichen Informationshandelns

2. Besonderheiten beim Einsatz von Microtargeting

a) Chancen des Microtargetings

b) Gefahren des Microtargetings

aa) Manipulation des politischen Diskurses

bb) Fragmentierung des politischen Diskurses

cc) Fehlende Allgemeinzugänglichkeit der Information

dd) Verletzung der Chancengleichheit der Parteien und des Neutralitätsgebots

c) Anforderungen an staatliches Microtargeting

aa) Grenzziehung zwischen Effizienzsteigerung und Manipulation

bb) Einheitlichkeit der Botschaft

cc) Erlaubte und verbotene Zielgruppenkriterien

dd) Transparenzarchive als Antwort auf das Problem der Allgemeinzugänglichkeit

III. Fazit


I. Phänomen Microtargeting

Das Internet erlaubt die nahezu magische Verschmelzung von Massenkommunikation und individueller Ansprache: Inhalte können massenhaft und zugleich auf den jeweiligen Empfänger zugeschnitten ausgespielt werden. Die durch die Internetnutzung generierten Daten erlauben es, ein präzises Profil der Nutzer zu erstellen („Tracking“), anhand dessen bestimmt werden kann, wer welche Informationen erhält. Längst ist diese Technik des Microtargetings aus dem kommerziellen Bereich in die Domäne der Politik vorgedrungen. Erstmals größere öffentliche Aufmerksamkeit erregte das Thema im Zuge des sog. Cambridge Analytica-Skandals, als herauskam, dass die Kampagne des späteren US-Präsidenten Donald Trump vom britischen Unternehmen Cambridge Analytica durch Microtargeting unterstützt wurde. Inzwischen ist Microtargeting auch in Deutschland angekommen, wo es sowohl von Parteien als auch von staatlichen Stellen genutzt wird. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, inwiefern staatliche Stellen nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen staatlicher Informationstätigkeit Microtargeting nutzen dürfen. Vorgelagerte datenschutzrechtliche Fragen bleiben außer Acht. Erwähnt sei allerdings, dass sich eine unionsrechtliche Einschränkung der Möglichkeit zum Microtargeting abzeichnet: Im noch laufenden Verordnungsgebungsverfahren zum Digital Services Act (DSA) setzte sich Ende Januar 2022 das Europäische Parlament dafür ein, die Möglichkeit von Microtargeting zu beschränken, indem sensible Daten nach Art. 9 DSGVO hierfür nicht verwendet werden und Minderjährige generell nicht Adressaten von Microtargeting werden dürfen.

1. Begriffsbestimmung

Der Begriff des Microtargetings wird uneinheitlich verwendet und ist im öffentlichen Diskurs assoziativ stark mit manipulativen Methoden verknüpft. Dieser Beitrag versteht unter Microtargeting das gezielte Ausspielen von Inhalten an eine zuvor spezifisch hierfür erstelle und für besonders empfänglich gehaltene Personengruppe über das Internet auf Basis einer computergestützt analysierten Datenbank, wobei die Information der Zielgruppe entweder ausschließlich oder jedenfalls erheblich häufiger als sonstigen Nutzern angezeigt wird. Wenngleich Microtargeting auch bei kommerzieller Werbung angewandt wird, konzentriert sich dieser Beitrag auf politikbezogene Inhalte, die von staatlichen Stellen verbreitet werden. Im Fokus der öffentlichen Diskussion steht dabei Microtargeting über die Plattform Facebook, anhand derer der Mechanismus beispielhaft dargestellt werden kann: Ein Facebooknutzer kann gegen Bezahlung festlegen, dass einer seiner Beiträge im News-Feed anderer Facebooknutzer häufiger oder prominenter angezeigt wird, wobei für die Zielgruppenerstellung auf von Facebook gesammelte Daten (etwa zu kulturellen oder politischen Vorlieben seiner Nutzer) zurückgegriffen werden kann.

Targeting im Sinne des Versuchs, mit möglichst wenigen Ressourcen möglichst viele an einer Botschaft interessierte Empfänger zu erreichen und dabei Form und Inhalt an die antizipierten Rezipienten anzupassen, gehörte zum Standardrepertoire jeglicher (auch staatlicher) Öffentlichkeitsarbeit schon lange bevor das Aufkommen des Internets die Möglichkeit bot, diese Technik zu verfeinern. Wenngleich also die Grundidee des Microtargetings vermutlich so alt ist wie menschliche Kommunikation selbst, so bietet die Technologie der Gegenwart Targetingmöglichkeiten von zuvor ungeahnter Potenz. Nicht nur ist über das Internet nahezu jeder beliebige Bürger mit Informationen in nahezu jeder beliebigen Darbietungsform (Text, Ton, [Bewegt-]Bild) nahezu jederzeit und nahezu ohne zusätzliche Kosten erreichbar. Hinzu tritt die Möglichkeit, computergestützt Datenmengen zu generieren und zu verarbeiten, die menschliche Mentalkapazitäten um ein Vielfaches übersteigen („Big Data“), wodurch präzise Profile einzelner Personen erstellt werden können.

Dabei gilt ob der Weite der oben gewählten Definition: Microtargeting ist nicht gleich Microtargeting. Es lassen sich vier Aspekte unterscheiden, die die Natur einer konkreten Microtargetingmaßnahmen erheblich mitprägen.

a) Verwendeter Datensatz

Zentral ist der verwendete Datensatz. Dieser kann neben demografischen Eckdaten wie Alter, Geschlecht oder Familienstand auch sensiblere Daten wie kulturelle Interessen, politische Positionen oder Krankheiten umfassen. Im Extremfall enthält der verwendete Datensatz (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.09.2022 09:12
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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