LAG Berlin v. 14.3.2022 - 2 Sa 1699/21

Anwaltliche Sorgfaltspflichten in der Kanzleiorganisation: Überwachungspflichten bei Berufungseinlegung bzw. -begründung über das beA

Versendet ein Rechtsanwalt fristwahrende Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Gericht, hat er in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend zu belehren, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 46 c Abs. 5 Satz 2 ArbGG zu kontrollieren ist. Er hat zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen.

Der Sachverhalt:
Die Beklagte beantragte in einem Kündigungsschutzverfahren Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und begründete dies wie folgt: Am Tag des Fristablaufs, dem 18.2.2022, habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsbegründung gefertigt und habe sie per beA versenden wollen. Dazu habe er den Schriftsatz signiert und dann mithilfe des Programms RA-Micro den digitalen Versand angeschoben. Dazu habe er seine Kennnummer für das Signieren das erste Mal eingegeben und für den Versand weitere zwei Male. Dies sei am 18.2.2022 gegen 18:15 Uhr erfolgt. Da er an diesem Tag eine Vielzahl von Schriftsätzen verfasst hätte, habe er seine stets zuverlässig arbeitende Mitarbeiterin Frau H gebeten, den Postausgang ordnungsgemäß zu überprüfen. Die Überprüfung des Postausgangs über das „RA-Micro“ beA-System erfolge so, dass alle an dem Tag gefertigten Schriftsätze im Postausgang zu sehen seien. Sie entfernten sich dann sukzessive, je nachdem, ob der Versand erfolgreich gewesen sei oder nicht. Im Anschluss werde dann am Ende des Tages der Ordner „gesendete Elemente“ überprüft. Ernst nach einem Abgleich würden dann die Schreiben als fristgerecht versendet gelten.

Der Unterzeichner habe seinen Arbeitsplatz verlassen und habe seine seit langem zuverlässige Mitarbeiterin Frau H gebeten, den Postausgang zu überprüfen. Er habe sie gebeten, im Falle eines Fehlers der Übersendung den Unterzeichner nochmals anzurufen, damit dieser den Schriftsatz nochmals hätte übersenden können. Dies habe sie zugesagt. Es sei aber zu keinem Anruf gekommen. Frau H habe sehen können, dass der digitale Postausgang leer gewesen sei. Sie habe den Reiter „gesendete Elemente“ nicht überprüft, so dass sie nicht habe sehen können, dass es augenscheinlich bei der Übermittlung des Schriftsatzes zu einem Fehler gekommen sei. Der Schriftsatz sei nochmals zu versenden gewesen. Das habe sie jedoch unterlassen.

Das LAG hat die Berufung unter Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen. Die Revisionsbeschwerde wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die Beklagte hat die Frist zur Begründung der eingelegten Berufung versäumt (§ 66 Abs. 1 und Satz 5 ArbGG). Sie hätte die Berufung bis zum 18.2.2022 begründen müssen. Die Berufungsbegründungsschrift ist jedoch erst am 21.2.2022 beim LAG Berlin eingegangen.

Der Beklagten war keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 233 Satz 1 ZPO). Dabei steht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich.

Ist das Fristversäumnis infolge eines Fehlverhaltens von Büropersonal des Prozessbevollmächtigten eingetreten, liegt kein der Partei zuzurechnendes Verschulden vor, wenn der Prozessbevollmächtigte seine Kanzlei ordnungsgemäß organisiert, insbesondere zuverlässiges Personal ausgewählt und dieses ausreichend überwacht hat.

Allerdings genügt nach gefestigter Rechtsprechung ein Rechtsanwalt bei einer Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax seiner Pflicht zur Ausgangskontrolle nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Die Überprüfung des Sendeberichts kann lediglich dann entfallen, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzleiangestellten angewiesen hat, die Frist erst nach telefonischer Rückfrage beim Empfänger zu streichen.

Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen den per Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang selbst zu überprüfen. Dies kann ohne Weiteres durch eine Kontrolle der dem Telefax-Sendeprotokoll vergleichbaren automatisierten Eingangsbestätigung (§ 46 c Abs. 5 Satz 2 ArbGG) erfolgen. Sobald eine an das Gericht versendete Nachricht auf dem in dessen Auftrag geführten Server eingegangen ist, schickt dieser automatisch dem Absender eine Bestätigung über den Eingang der Nachricht. Hieran hat sich mit Einführung des beA nichts geändert; die Eingangsbestätigung wird vom EGVP an das beA versandt. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen des Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung erhalten, besteht damit Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Ihr Ausbleiben muss den Rechtsanwalt zur Überprüfung und ggf. zur erneuten Übermittlung veranlassen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte die Einrichtung und Anwendung einer ordnungsgemäß gestalteten Fristen- und Ausgangskontrolle bereits nicht schlüssig dargelegt. Den Ausführungen des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine Anweisung bestand, wonach die Frist zur Berufungsbegründung im Fristenkalender erst nach Überprüfung der erfolgreichen Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift an das Gericht unter Berücksichtigung der Eingangsbestätigung nach § 46 c Abs. 5 Satz 2 ArbGG gestrichen werden dürfe.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat lediglich allgemein behauptet, dass die entsprechende Mitarbeiterin angewiesen worden sei, zur Prüfung des Empfangs die Nachricht aus dem „Gesendet“-Ordner aufzurufen und im Nachrichtenjournal die erfolgreiche Übermittlung zu prüfen. Wie genau die Prüfung des Empfangs der Nachricht zu erfolgen hat, hat er indessen in seinem Wiedereinsetzungsantrag nicht vorgetragen.

Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das für die Berufungseinlegung per beA zuständige Personal jedoch dahingehend belehren müssen, dass bei Übermittlung von Daten per beA stets der Erhalt der Eingangsbestätigung zu kontrollieren ist, und er hätte diesbzgl. zumindest stichprobenweise Überprüfung durchführen müssen (vgl. BAG v. 7.8.2019 - 5 AZB 16/19 - Rdz. 23; BGH v. 11.5.2021 - VIII ZB 9/20). Dieses Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten muss sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.05.2022 10:51
Quelle: Justiz Berlin online

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