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Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung zur Regulierung der Künstlichen Intelligenz (Spindler, CR 2021, 361)
Der neue Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung zur Regulierung der Künstlichen Intelligenz ist weltweit der erste Versuch, das Phänomen der KI gesetzgeberisch in den Griff zu bekommen. Der Entwurf verwendet klassische Regelungsstrukturen des Produktsicherheitsrechts, um durch technische Standards, Zertifizierungen und Risk- sowie Qualitätsmanagementsysteme die Risiken der KI, die die Kommission vor allem in Gefährdungen der Grundrechte verortet, in den Griff zu bekommen. Der Beitrag gibt einen ersten Überblick und Einschätzung des Entwurfs.
Ansatz, Instrumente, Qualität und Kontext
INHALTSVERZEICHNIS:
I. Einleitung
II. Der grundlegende Ansatz: Risikobasiert mit Regulierung für hoch-riskante KI
III. Anwendungsbereich
1. Definition der Künstlichen Intelligenz
2. Regulierungsadressaten
3. Internationaler Anwendungsbereich
4. Verhältnis zu anderen EU-Rechtsakten
a) Verhältnis zur DSGVO
b) Verhältnis zu anderen Produktsicherheitsrechtsakten, insbesondere Vorschlag einer Maschinen-VO
IV. Grundsätzliches Verbot bestimmter KI-Anwendungen
1. Verfahren zur Beeinflussung des (unbewussten) Verhaltens
2. Social Scoring
3. Biometrische Erkennung durch KI
V. Hoch-riskante KI-Anwendungen
1. Definition
2. Anforderungen an hochriskante KI-Systeme
a) Riskmanagementsysteme
b) Voraussetzungen für Daten, insbesondere Trainingsdaten
c) Technische Dokumentation und Konformitätsbewertungsverfahren
d) Instrumente zur Nachvollziehbarkeit (logging devices)
e) Menschliche Aufsicht
f) Robustheit, Genauigkeit und IT-Sicherheitsanforderungen
g) Transparenz- und Instruktionspflichten
VI. Transparenzpflichten für alle KI-Systeme
VII. Pflichten für Betreiber und Nutzer von KI-Systemen
1. Pflichten für Betreiber, Hersteller und Quasi-Hersteller
2. Pflichten für Importeure und Händler
3. Pflichten für Nutzer
VIII. Konformitätsbewertungen
1. Mögliche Verfahren
2. Biometrische KI-Verfahren
3. Stand-Alone-KI
4. KI-Systeme als Bestandteil von Produkten
5. Änderungen der KI
6. Zeitweilige Aufhebung des Konformitätsbewertungsverfahrens durch Aufsichtsbehörde
7. Anbringung CE-Kennzeichen
8. Registrierung in EU-Datenbank
IX. Schaffung von „regulatory sandboxes“ und Erleichterungen von KMUs
X. Codes of Conduct
XI. Aufsichts- und Überwachungsstrukturen
1. Schaffung eines European Artificial Intelligence Boards
2. Überwachungsbehörden
3. EU-weite Datenbank als Register
XII. Überwachungs- und Mitteilungspflichten der KI-Betreiber
1. Produktbeobachtung
2. Mitteilungspflichten
3. Durchsetzung und Überwachung
XIII. Sanktionen, insbesondere Bußgelder
XIV. Kritische Bewertung
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I. Einleitung |
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Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den letzten Jahren neben der Plattformökonomie und der Blockchain-Technologie als einer der wichtigsten Bestandteile der Digitalisierung herauskristallisiert. Der Einsatz von KI kann aber sowohl segensreich wirken, als auch erhebliche Risiken und Gefahren heraufbeschwören: Bekannte Beispiele sind der Einsatz von KI im Bereich des social scoring, um unliebsame Minderheiten herauszufiltern oder das Erstellen von Bewegungsprofilen mit Hilfe telemetrischer Gesichtserkennung1, oder im Bereich von meinungsbildenden Plattformen, die bestimmte Inhalte bewerten, sortieren und sie dann entsprechend „zubereitet“ dem Nutzer darbieten (sog. „content curation“), so dass das berühmte Phänomen der „echo chambers“ 2 entsteht. Die Risiken für die Ausübung von Grundrechten im Netz sind daher vielfältig und reichen vom Datenschutz über das Recht der freien Meinungsäußerung bis hin zu möglicher Diskriminierung, etwa durch verzerrte Trainingsdaten. |
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Daher ist es nicht verwunderlich, dass auf rechtspolitischer Ebene recht bald zahlreiche Expertengremien und Kommissionen einberufen wurden, die sich den ethischen und rechtlichen Prinzipien der KI annahmen und entsprechende Vorschläge unterbreiteten. Der jetzt vorliegende Vorschlag der EU-Kommission 3 resultiert aus den Konsultationen zum Weißbuch der Kommission4 und bezieht explizit die Vorschläge des Europäischen Parlaments hinsichtlich der ethischen Prinzipien für KI5 ebenso wie die Vorschläge des Rates vom 21.10.20206 und der High Level Expert Group on AI 7 mit ein. |
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Die EU-Kommission verfolgt mit dem Vorschlag einer KI-VO einen risikobasierten horizontalen Ansatz im Bereich des Produktsicherheitsrechts, der sich auf den Einsatz von KI generell bezieht und nicht sektorspezifisch (wie etwa in den Produktsicherheitsrechts-Verordnungen oder -Richtlinien) vorgeht. Der Vorschlag der KI-VO soll ausdrücklich zukunftsoffen und in der Lage sein, neue Entwicklungen zu berücksichtigen.8 |
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Keine Regelung hat bislang das gleichermaßen viel diskutierte Haftungsrecht gefunden.9 Im Mittelpunkt steht hier die Einführung einer Art Kausalhaftung bzw. Gefährdungshaftung, wie sie von der Expert Group on Liability and New Technologies vorgeschlagen10 und vom Europäischen Parlament in seiner Entschließung vom 5.10.202011 teilweise aufgenommen wurde. Der KI-VO-E beschränkt sich dagegen auf die geschilderten Pflichten und Verbote, folgt daher primär einem produktsicherheitsrechtlichen Ansatz; gleichwohl wird der KI-VO-E – sofern der Vorschlag angenommen wird – Auswirkungen auch auf das nationale Haftungsrecht haben, in Deutschland etwa über § 823 Abs. 2 BGB , selbst wenn der für das zweite Halbjahr 2021 angekündigte Vorschlag der EU-Kommission zur Einführung einer Kausalhaftung ebenfalls realisiert wird.12 |
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Da verschiedene Mitgliedstaaten, einschließlich Deutschlands, die Umsetzung einer KI-Strategie erwägen, hat die EU-Kommission ausdrücklich das Instrument einer Verordnung gewählt, um einer Fragmentierung innerhalb der EU entgegenzuwirken13 – was dem grundsätzlichen Ansatz im Rahmen der Produktsicherheit entspricht. |
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II. Der grundlegende Ansatz: Risikobasiert mit Regulierung für hoch-riskante KI |
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Die EU-Kommission hat sich unter verschiedenen Möglichkeiten dezidiert für einen risikobasierten Ansatz ausgesprochen,14 der zwingende Regelungen nur für hoch-riskante KI-Systeme enthält, es für andere KI-Systeme aber bei moderaten Pflichten sowie einem code-of-conduct-Konzept belässt.15 Dabei erstreckt der KI-VO-E seinen Anwendungsbereich ausdrücklich auch auf Anbieter bzw. Betreiber mit Sitz außerhalb der EU.16 Erklärtes Ziel der Regulierung der hoch-riskanten KI ist die Gewährleistung der Grundrechte der betroffenen Nutzer, insbesondere das Recht auf Meinungsfreiheit, die Nichtdiskriminierung sowie die datenschutzrechtlichen Grundrechte.17 Zentrales Element der Überwachung der Anforderungen an hoch-riskante KI-Systeme ist dabei der produktsicherheitsrechtliche Ansatz der Konformitätsbewertung anhand technischer Standards, einhergehend mit einer Vermutungswirkung, die aber auch andere Alternativen zulässt, womit die EU-Kommission einerseits die nötige Flexibilität gewährleisten, andererseits eine Überlastung der Aufsichtsbehörden verhindern will.18 |
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Zur Durchsetzung der Pflichten von hoch-riskanten KI will die EU-Kommission eine Registrierungspflicht für sog. stand-alone KI und damit eine EU-weite Datenbank schaffen, mit deren Hilfe durch Überwachungsbehörden oder sonstige Dritte die Aktivitäten der KI im Hinblick auf die Einhaltung der Pflichten, insbesondere die Wahrung der betroffenen Grundrechte, überwacht werden können.19 Gleichzeitig wird damit der Forderung nach einer vorhergehenden öffentlich-rechtlichen Genehmigung20 eine Absage erteilt. |
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Flankiert wird dieser Ansatz durch Pflichten der KI-Betreiber, die Überwachungsbehörden über ernsthafte Vorfälle oder Fehlfunktionen der KI mit Gefährdung der Grundrechte zu unterrichten; die entsprechenden Informationen der Überwachungsbehörden sollen dann von der EU-Kommission zur Marktanalyse und -bewertung ausgewertet werden.21 |
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In diesem Rahmen will der KI-VO-E auch Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) vorsehen, etwa durch die Schaffung von „regulatory sandboxes“ oder Erleichterungen bei der Konformitätsbewertung von KI-Systemen.22 |
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III. Anwendungsbereich |
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1. Definition der Künstlichen Intelligenz |
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Schon die Definition von KI in Art. 3 Nr. 1 KI-VO-E zeigt den breiten Anwendungsbereich, den der KI-VO-E anstrebt. Demnach bezeichnet ein KI-System Software, die ... Hier direkt weiterlesen im juris PartnerModul IT-Recht |
