Aktuell in der CR
Vertragsschluss durch Verhandlungsagenten (Weingart, CR 2020, 701)Aufgrund der immer weiter voranschreitenden Technisierung unserer Welt stellt sich in der Rechtswissenschaft die Frage, wie das Recht mit neuartigen Technologien umgehen soll. Besonders präsent ist die Frage bei autonomer Software, da die Zurechnungsmethoden des deutschen Rechts mit der Autonomie der Software in Konflikt kommen. Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Abschluss von Verträgen mithilfe sog. Verhandlungsagenten. In diesem Kontext werden der Vertragsschluss als solcher, die Möglichkeit vorvertraglicher Haftung sowie die Täuschung durch einen Verhandlungsagenten thematisiert. Beleuchtet wird insoweit das rechtliche Verhältnis zwischen demjenigen, der die Software zum Zwecke des Vertragsschlusses einsetzt (Nutzer), und dessen Vertragspartner.
Wenn Software eigenständig im Rechtsverkehr auftritt
INHALTSVERZEICHNIS:
I. Verhandlungsagenten – ein Definitionsansatz
II. Vertragsschluss mittels eines Verhandlungsagenten
1. Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB
2. Erfüllungsgehilfe, § 278 BGB analog
3. Beschränkte Geschäftsfähigkeit, §§ 106 ff. BGB analog
4. Erklärung ad incertas personas
5. Bote
6. Blanketterklärung
7. Zurechnung über die Grundsätze der Willenserklärung
a) Definition „Willenserklärung“
b) Interessenlage
c) Anfechtbarkeit wegen Erklärungsirrtum
III. Vorvertragliche Haftung für den Verhandlungsagenten
1. Verschulden
2. Vergleich mit der Gehilfenhaftung
3. Schädigung nur bei Gelegenheit des Vertragsschlusses
4. Auswirkungen des Initiativberichts des EU-Parlaments
IV. Durch einen Verhandlungsagenten begangene arglistige Täuschung oder Drohung
1. Anfechtung der Erklärung des Vertragspartners nach §§ 123 f. BGB
a) Arglistige Täuschung
b) Drohung
2. Haftung für durch die Täuschung oder Drohung verursachte Schäden
V. Zusammenfassung
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I. Verhandlungsagenten – ein Definitionsansatz |
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Verhandlungsagentensind sog. Softwareagenten. Dies sind Computerprogramme, die bestimmte Aktionen selbstständig durchführen, um definierten Ziele zu erreichen1. Der Agent erhält aus seiner Umgebung mittels seiner Sensorik (z.B. Tastatur, Kamera, Sensoren) Informationen, die er auswertet und das Ergebnis über seine Aktuatoren an die Umgebung zurückgibt2. Softwareagenten zeichnen sich durch die Eigenschaften Autonomie, Reaktivität, Proaktivität, Interaktionsfähigkeit und Lernfähigkeit aus3. Für diesen Beitrag ist vorrangig die Autonomie von Softwareagenten von Bedeutung, wobei über eine präzise Definition von Autonomie weitestgehend Uneinigkeit herrscht4. Jüngst hat sich auch die EU zu diesem Thema zu Wort gemeldet5: Autonomie soll nach den Vorstellungen des EU-Parlaments bei solchen KI-Systemen vorliegen, deren Arbeitsweise darauf beruht, bestimmten Input mithilfe eines vorgegebenen Regelsystems zu interpretieren, ohne jedoch auf die vorgegebenen Regeln beschränkt zu sein, wobei zu berücksichtigen sein soll, dass das System für eine bestimmte Aufgabe geschaffen wurde und dadurch sowie durch weitere Design-Entscheidungen des Entwicklers in gewisser Hinsicht eingeschränkt ist6. Das EU-Parlament legt folglich den Schwerpunkt ihrer Definition nicht mehr auf die KI als solche, sondern auf das autonome Entscheiden, für das die Struktur als KI jedoch Voraussetzung sein soll. Obwohl an der Vollständigkeit der Definition des EU-Parlaments gezweifelt werden kann7, soll sie für die folgenden Ausführungen zugrunde gelegt werden. |
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Softwareagentensind vor diesem Hintergrund Softwareprogramme, deren Autonomie sich daraus ergibt, dass sie bekannten oder unbekannten Input mithilfe ihres internen Regelsystems verarbeiten. Ihnen verbleibt dabei ein gewisser Entscheidungsspielraum, wobei sie durch ihre Programmierung und ihren Einsatzbereich beschränkt werden. |
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Kontrollierbarkeit: Die Fähigkeit, ein solches System überblicken und kontrollieren zu können, hängt stark von der Komplexität des zugrunde liegenden Programms ab8 sowie von den Datenmengen, die das System verarbeiten kann. Als Faustregel kann herangezogen werden, dass die Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit mit steigender Komplexität des Systems abnimmt; die Präzision der Entscheidungen nimmt jedoch zu9. |
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Auch Verhandlungsagenten sind mit dieser Art der Autonomie ausgestattet und dienen der Aushandlung und dem Abschluss von Verträgen. Diese Aufgaben erfüllen sie eigenständig und ohne dass ein Mensch dabei auf die Software oder den Vertragsschluss einwirkt. Je komplizierter und umfangreicher das Einsatzgebiet ist, desto schwieriger wird es, das System zu verstehen und zu kontrollieren. Damit wird den für den Verhandlungsagenten verantwortlichen Personen ab einem gewissen Komplexitätsgrad die Möglichkeit genommen, Fehlverhalten des Agenten durch korrektes Alternativverhalten zu verhindern. |
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II. Vertragsschluss mittels eines Verhandlungsagenten |
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Zunächst stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit von durch Verhandlungsagenten eingegangenen Verträgen. Inwieweit kann autonome Software eine Person rechtsverbindlich binden? |
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Bei Erklärungen eines Verhandlungsagenten handelt es sich um Computererklärungen. Diese werden, anders als elektronisch übermittelte Willenserklärungen oder automatisierte Willenserklärungen, (...) Hier direkt weiterlesen im juris PartnerModul IT-Recht |
