BGH v. 8.3.2022 - VI ZB 25/20

Berufungsbegründung: Zum Eingang eines über das beA eingereichten elektronischen Dokuments bei Gericht

Der BGH hat sich vorliegen mit der Frage des Eingangs eines über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichten elektronischen Dokuments (hier: Berufungsbegründung) bei Gericht befasst (§ 130a Abs. 5 ZPO).

Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung in Anspruch. Das LG wies die Klage mit Urteil vom 18.6.2019 ab. Gegen dieses Urteil legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin über das besondere elektronische Anwaltspostfach (nachfolgend beA) fristgerecht Berufung ein. Die Begründungsfrist lief am 26.8.2019 ab.

Mit Beschluss vom 28.8.2019, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 4.9.2019 zugestellt wurde, wies das OLG darauf hin, dass eine Berufungsbegründungsschrift bis zum Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung nicht eingegangen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte daraufhin mit Schriftsatz vom 16.9.2019 mit, er habe am 23.8.2019 die Berufungsbegründung über das beA an das OLG übermittelt; die Berufungsbegründung werde als Anlage "zusammen mit dem Sendeprotokoll des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs auf der Website der Bundesrechtsanwaltskammer" erneut zur Gerichtsakte überreicht. Nach Hinweis des OLG, dass dem Schriftsatz vom 16.9.2019 die dort benannten Anlagen nicht beigefügt gewesen seien, über das beA sei nur der Schriftsatz selbst eingegangen, übermittelte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem OLG am 26.9.2019 die von ihm unterzeichnete Berufungsbegründung vom 23.8.2019 sowie den "erfolgreichen Sendebericht" per Telefax.

Auf Anfrage des Berufungssenats teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 9.10.2019 das Nachrichtenkennzeichen für die Übermittlung der Berufungsbegründung vom 23.8.2019 mit. Ferner übersandte er einen "Screenshot der Nachrichtenanzeige aus dem Webportal der Bundesrechtsanwaltskammer zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach" über die erfolgreiche Übermittlung des Schriftsatzes an das OLG als Anlage. Auf Anfrage des Berufungssenats teilte die Fachgruppe Justiz zu dem angegebenen Nachrichtenkennzeichen am 10.10.2019 mit, dass die Nachricht eingegangen sei, aber keinerlei Inhalt gehabt und deshalb nicht verarbeitbar gewesen sei; der Absender sei per E-Mail vom 26.8.2019 davon in Kenntnis gesetzt und gebeten worden, die Nachricht erneut zu senden oder eine andere Versandart zu wählen. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 31.10.2019 mitgeteilt hatte, den Eingang der E-Mail nicht feststellen zu können, teilte die Fachgruppe Justiz auf erneute Rückfrage mit, es habe bzgl. der E-Mail keine Unzustellbarkeitsmeldung gegeben.

Daraufhin verwarf das OLG die Berufung der Klägerin als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, das Rechtsmittel der Klägerin sei nicht in der gesetzlich bestimmten Frist begründet worden. Das OLG hat die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründung nicht ausreichend aufgeklärt.

Gem. § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO ist ein elektronisches Dokument eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte, ist demgegenüber unerheblich. Hierbei handelt es sich um gerichtsinterne Vorgänge, die für den Zeitpunkt des Eingangs des Dokuments nicht von Bedeutung sind. Dementsprechend steht es der Wirksamkeit und Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht entgegen, wenn der für die Abholung von Nachrichten eingesetzte Rechner im internen Netzwerk das Dokument nicht von dem Intermediär-Server des Gerichts herunterladen kann, sondern lediglich eine Fehlermeldung erhält.

Die Feststellungen des OLG lassen die Möglichkeit offen, dass die Berufungsbegründung am 23.8.2019 auf der für den Empfang elektronischer Dokumente bestimmten Einrichtung des OLG gespeichert worden ist und lediglich nicht von anderen Rechnern innerhalb des Gerichtsnetzes abgeholt werden konnte. Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung auf das Ergebnis seiner Ermittlungen zum angegebenen Nachrichtenkennzeichen der Berufungsbegründung Bezug genommen. Von dieser Bezugnahme erfasst ist auch die an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichtete E-Mail der Fachgruppe Justiz vom 26.8.2019, die diese dem Berufungssenat am 5.11.2019 auf dessen Rückfrage übermittelt hat. In dieser E-Mail wird darauf hingewiesen, dass die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 23.8.2019 an das OLG übersandte elektronische Nachricht nicht von der virtuellen Poststelle habe abgeholt und deshalb auch nicht an den Empfänger habe weitergeleitet werden können. Dies könne - neben weiteren angegebenen Umständen - den Grund haben, dass sich in den Dateinamen der Anhänge Umlaute oder Sonderzeichen befänden, wobei einige Probleme mit den Sonderzeichen ihre Ursache in der virtuellen Poststelle hätten.

Diese Hinweise legen nahe, dass die am 23.8.2019 über das beA des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beim OLG eingegangene Nachricht nicht in dem Sinne "ohne Inhalt" war, dass sie bereits inhaltsleer und ohne Anhänge auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des OLG eingegangen, sondern vielmehr vollständig dort gespeichert worden war und lediglich für andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes, insbesondere der virtuellen Poststelle, keinen Inhalt hatte, weil diese nicht auf sie zugreifen konnten. Hierfür sprechen auch die von der Klägerin vorgelegten Auszüge aus dem Protokoll des beA ihres Prozessbevollmächtigten, denen nicht nur zu entnehmen ist, dass der "allgemeinen Nachricht" vom 23.8.2019 sechs Anlagen im PDF-Format beigefügt waren - darunter ein unter der Verwendung des Umlauts "ü" als "Berufungsbegründung" bezeichnetes Dokument mit 554 KB - sondern aus denen sich auch ergibt, dass ihrem Prozessbevollmächtigen eine automatisierte Bestätigung über den Eingang der Nachricht i.S.v. § 130a Abs. 5 ZPO erteilt worden ist.

Die Eingangsbestätigung, die der Justizserver bei ordnungsgemäßem Zugang der Nachricht automatisch generiert und dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen soll, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind, wird durch das beA-System grundsätzlich in die gesendete Nachricht mit eingebettet. Die Bestätigung findet sich in der im Ordner "Gesendet" geöffneten Nachricht oder der Export-Datei der geöffneten Nachricht unterhalb der Dateianhänge als weiterer Anhang mit dem Meldetext "request executed", dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus "erfolgreich". Im Streitfall zeigt das von der Klägerin mit Telefax vom 26.9.2019 übermittelte "Sendeprotokoll des beA-Postfachs auf der Website der Bundesrechtsanwaltskammer", bei dem es sich um den Ausdruck der Export-Datei der im Ordner "Gesendet" geöffneten Nachricht vom 23.8.2019 handeln dürfte, unter dem Abschnitt "Zusammenfassung Prüfprotokoll", Unterpunkt "Meldungstext", die Meldung "request executed", das Eingangsdatum vom 23.8.2019 und unter dem Unterpunkt "Übermittlungsstatus" die Meldung "erfolgreich" an. Dieselben Angaben enthält der mit Schriftsatz vom 9.10.2019 übersandte Screenshot der im Webportal der Bundesrechtsanwaltskammer zum beA geöffneten Nachricht vom 23.8.2019.

Mehr zum Thema:

  • Aufsatz: Schultzky – Elektronische Kommunikation im Zivilprozess (MDR 2022, 201)
  • Rechtsprechung: OLG Frankfurt vom 03.11.2021, 6 U 131/21 – Gescheiterte Übermittlung der Berufungsbegründung per beA wegen unzulässigem Dateinamen (MDR 2022, 194)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.05.2022 14:21
Quelle: BGH online

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