EuGH, C-460/20: Schlussanträge des Generalanwalts vom 7.4.2022

Generalanwalt: Google muss angeblich unrichtige Inhalte im Rahmen des Möglichen prüfen

Generalanwalt Pitruzzella ist der Auffassung, dass ein auf die angebliche Unrichtigkeit der Informationen gestützter Antrag auf Auslistung den Suchmaschinenbetreiber verpflichtet, die Überprüfungen vorzunehmen, die in den Rahmen seiner konkreten Möglichkeiten fallen. Des Weiteren darf im Rahmen eines Antrags auf Entfernung von Vorschaubildern aus den Ergebnissen einer Bildersuche nur der Informationswert der Bilder als solcher berücksichtigt werden.

Der Sachverhalt:
TU und RE erhoben gegen die Google LLC Klage und beantragten zum einen die Auslistung bestimmter Links, die in den Ergebnissen der Suchen über die von der Google LLC betriebene Suchmaschine angezeigt wurden. Die Links beziehen sich auf im Internet veröffentliche Artikel eines Dritten, in denen TU und RE genannt werden. Zum anderen beantragten sie die Unterlassung der Anzeige von Fotos, die mit diesen Artikeln in Form von Vorschaubildern verbunden sind. TU ist für verschiedene Gesellschaften, die Finanzdienstleistungen anbieten, in verantwortlicher Position tätig oder an ihnen beteiligt. RE war die Lebensgefährtin von TU und bis Mai 2015 Prokuristin einer dieser Gesellschaften. Auf der Website g-net erschienen drei Artikel, in denen kritische Meinungen und Zweifel hinsichtlich der Seriosität des Anlagemodells verschiedener dieser Gesellschaften zum Ausdruck gebracht wurden und von denen einer mit vier Fotos bebildert war, auf denen TU und RE am Steuer von Luxus-Autos, in einem Hubschrauber und vor einem Charterflugzeug gezeigt wurden, was den Eindruck erwecken konnte, dass sie in fremdfinanziertem Luxus schwelgten. TU und RE forderten die Google LLC auf, die fraglichen Artikel auszulisten, die ihrer Auffassung nach unrichtige Behauptungen und verleumderische Ansichten enthielten, die auf unwahren Tatsachen beruhten, und die Vorschaubilder aus der Ergebnisliste der Suche zu entfernen.

Der deutsche BGH hat dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die erste Frage betrifft die Besonderheit der Funktion von Suchmaschinen und das Spannungsverhältnis, das sie zwischen den Grundrechten aus den Art. 7, 8 und 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erzeugt, in einem vom EuGH noch nicht geprüften Szenarium, nämlich dem, dass die betroffene Person die Richtigkeit der verarbeiteten Daten bestreitet und aus diesem Grund die Auslistung der Links verlangt, die auf von Dritten herausgegebene Inhalte verweisen, in denen diese Daten enthalten sind. Die zweite Frage betrifft die Notwendigkeit, bei der Prüfung eines Antrags auf Entfernung von Vorschaubildern aus den Ergebnissen einer Bildersuche den Inhalt der Website, in die das betreffende Foto eingefügt ist, zu berücksichtigen.

In seinen heute vorgelegten Schlussanträgen untersucht Generalanwalt Pitruzzella zunächst die Rechtsprechung des EuGH zu den Verpflichtungen, die einem Suchmaschinenbetreiber obliegen, und arbeitet dabei vier Eckpunkte heraus.

Der erste bezieht sich auf die Einstufung der Tätigkeit von Suchmaschinen als „Verarbeitung personenbezogener Daten“ und die Individualisierung des Suchmaschinenbetreibers als „Verantwortlichen“ bzw. für die Verarbeitung Verantwortlichen im Sinne der Richtlinie 95/46 und der Datenschutz-Grundverordnung (im Folgenden: DSGVO) . Der zweite betrifft die möglichen schweren Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Personen, die sich aus dem Einsatz einer Suchmaschine ergeben können. Der dritte Eckpunkt, den der EuGH festgestellt hat, betrifft die Notwendigkeit, im Kontext eines an den Betreiber einer Suchmaschine gerichteten Auslistungsantrags alle in Rede stehenden Grundrechte zu berücksichtigen und eine Abwägung dieser Rechte vorzunehmen, die neben den Umständen des konkreten Falls den technischen Merkmalen im Bereich des Internets Rechnung trägt. Der vierte Eckpunkt schließlich besteht darin, dass dem Suchmaschinenbetreiber die Aufgabe zugewiesen wird, diese Abwägung vorzunehmen, um sicherzustellen, dass den Anforderungen der DSGVO (und zuvor der Richtlinie 95/46) genügt. Diese Rolle ist im Übrigen in Art. 17 DSGVO kodifiziert.

Im Licht der vorstehenden aus der Rechtsprechung des EuGH abgeleiteten Grundsätze schlägt der Generalanwalt vor, wie die dem EuGH vorgelegten Fragen rechtlich zu beantworten sind. Er ist der Auffassung, dass ein auf die angebliche Unrichtigkeit der Informationen gestützter Antrag auf Auslistung den Suchmaschinenbetreiber verpflichtet, die Überprüfungen vorzunehmen, die in den Rahmen seiner konkreten Möglichkeiten fallen. Des Weiteren darf im Rahmen eines Antrags auf Entfernung von Vorschaubildern aus den Ergebnissen einer Bildersuche nur der Informationswert der Bilder als solcher berücksichtigt werden.

Die Gründe:
Zunächst ist zu erläutern, welche Verpflichtungen dem Betreiber einer Suchmaschine bei der Behandlung eines Antrags auf Auslistung obliegen, wenn dieser auf die nicht durch Beweise untermauerte Behauptung gestützt wird, dass einige der in dem gelisteten Inhalt enthaltene Informationen unrichtig seien.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten keinen absoluten Charakter hätten. Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten muss im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Dabei ist das Recht, zu informieren, angemessen zu gewichten.

Soweit in dem Fall, dass die betroffene Person eine öffentliche Rolle hat, das Recht, zu informieren, und das Recht auf Information Vorrang haben, kehrt sich dies dann um, wenn sich die Informationen, die Gegenstand des Auslistungsantrags sind, als unrichtig herausstellen. Denn die Richtigkeit der Daten stellt nicht nur eine der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten dar, sondern dieses Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit kann in seiner zweifachen, aktiven und passiven, Bedeutung, wenn es sich um eine unrichtige Information handelt, auch nicht auf der gleichen Ebene stehen wie die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten. In diesem Fall kommt ein vorrangiges Kriterium zum Tragen, das in einem der Grundwerte der EU wurzelt, nämlich dem der in Art. 1 der Charta der Grundrechte verbürgten Menschenwürde. Eine unrichtige Information verletzt nicht nur das Grundrecht der Person, auf die sich der Schutz personenbezogener Daten bezieht, sondern beeinträchtige ihre Würde, da sie auf einer unrichtigen Darstellung beruht und eine Verfälschung ihrer Identität bewirkt, die heute vor allem im Netz definiert wird.

Wenn Zweifel an der Richtigkeit der vom Suchmaschinenbetreiber verarbeiteten Information bestehen, stellt sich die Frage der Abwägung der betroffenen Grundrechte daher ganz besonders, zumindest in dem Stadium, in dem die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Information noch nicht festgestellt worden ist. Zwar kann der Suchmaschinenbetreiber nicht verpflichtet werden, die gespeicherten Inhalte einer allgemeinen Kontrolle in Bezug auf deren Richtigkeit zu unterziehen; aufgrund seiner besonderen Verantwortung, die mit seiner Funktion eines „gatekeeper“ der Information verbunden ist, muss er jedoch eine aktive Rolle bei der Löschung der Ergebnisse der Suche nach Inhalten spielen, in denen unrichtige personenbezogene Daten enthalten sind.

Allerdings ist auszuschließen, dass eine Auslistung allein auf der Grundlage des bloß einseitigen Antrags des Betroffenen vorgenommen werden kann, ebenso, dass von dem Betroffenen verlangt werden kann, sich an den Herausgeber der Webseite zu wenden, um die Entfernung des angeblich unrichtigen Inhalts zu verlangen. Der Betroffene ist verpflichtet, die Umstände anzugeben, auf die der Antrag gestützt wird, und einen Anfangsbeweis dafür zu erbringen, dass die Inhalte, deren Auslistung verlangt wird, unrichtig seien. Der Suchmaschinenbetreiber muss demgegenüber die Überprüfungen durchführen, mit denen die Begründetheit des Antrags bestätigt oder nicht bestätigt wird und die sich im Rahmen seiner konkreten Möglichkeiten halten. Dabei hat er, wenn möglich, den Herausgeber der gelisteten Website zu kontaktieren, und dann darüber zu entscheiden, ob er dem Auslistungsantrag stattgibt oder nicht. Wenn sich der Inhalt auf eine Person bezieht, die eine öffentliche Rolle hat, muss sich die Entscheidung für die Auslistung auf besonders aussagekräftige Bestätigungen für die Unrichtigkeit der Informationen stützen. Schließlich kann der Suchmaschinenbetreiber, wenn die Umstände des Falls dies angezeigt erscheinen lassen, um einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die betroffene Person zu vermeiden, die Listung vorübergehend aussetzen oder in den Ergebnissen der Suche angeben, dass die Richtigkeit einiger der Informationen bestritten wird.

In Bezug auf die zweite Frage ist festzustellen, dass für namensbezogene Bildersuchen über eine Internetsuchmaschine dieselben Regeln gelten wie für Websuchen und dass der Suchmaschinenbetreiber mit der Zusammenstellung von im Internet veröffentlichten Fotos von natürlichen Personen und der Wiedergabe dieser Fotos einen Dienst anbietet, bei dem er eine eigenständige Verarbeitung personenbezogener Daten vornimmt, die sowohl von der des Herausgebers der Website, von der die Fotos entnommen sind, als auch von derjenigen der Listung dieser Website verschieden sei.

Bei der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte, die im Rahmen eines an den Suchmaschinenbetreiber gerichteten Antrags auf Entfernung von als Vorschaubilder angezeigten Fotos vorzunehmen ist, ist nur der Informationswert der Fotos als solcher zu berücksichtigen, unabhängig von dem Inhalt, in den sich diese Fotos auf der Webseite, von der sie entnommen worden seien, einfügen.

Angesichts des Umstands, dass das Bild einer Person eines der Hauptmerkmale ihrer Persönlichkeit ist, kommt dem Schutz des Rechts der Person auf Vertraulichkeit in diesem Kontext besondere Bedeutung zu, da die Fotos besonders persönliche Informationen vermitteln können.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.04.2022 16:02
Quelle: EuGH PM Nr. 61 vom 7.4.2022

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