BGH v. 20.7.2021 - VI ZR 63/19

Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für Klage auf Schadensersatz bei Kauf nach arglistiger Täuschung?

Macht ein in Deutschland ansässiger Kläger geltend, er habe aufgrund vorsätzlich falscher Angaben des in Bulgarien ansässigen Beklagten über den Zustand einer Sache in einer auf einer Internetplattform eingestellten Verkaufsanzeige einen Kaufvertrag abgeschlossen und den vereinbarten Kaufpreis an den Beklagten überwiesen und stützt der Kläger den Schadensersatzanspruch ausschließlich auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, ist für diese Klage der unionsrechtliche Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnet.

Der Sachverhalt:
Der Geschäftsführer der in Deutschland ansässigen Klägerin war im Februar 2016 auf eine in einer Internetplattform eingestellte Verkaufsanzeige ("Inserat") aufmerksam geworden, in der der das Fahrzeug wie folgt angeboten wurde:

"Keine Kratzer, keine Beulen, reines Schönwetterfahrzeug in makellosem Best-zustand" (…) "Technisch und optisch sehr guter Zustand, ohne Mängel (…)".

Verkäuferin des Fahrzeugs war die Beklagte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach bulgarischem Recht mit Sitz in Sofia. Die Klägerin nahm zunächst Kontakt mit P., dem Vertreter der Beklagten in Deutschland auf. Aufgrund eines Gesprächs mit P. überwies die Klägerin umgehend knapp 60.000 € brutto an die Beklagte. In der in englischer Sprache abgefassten Rechnung werden die Beklagte als "seller" und die Klägerin als "buyer" bezeichnet.

Sodann begab sich der der bulgarischen Sprache nicht mächtige Geschäftsführer der Klägerin vereinbarungsgemäß nach Sofia, um das Fahrzeug abzuholen. Dort fanden Gespräche statt, deren Inhalt im Einzelnen streitig ist. Unstreitig erfuhr der Geschäftsführer dort, dass das Fahrzeug in der Vergangenheit einmal gestohlen worden war. Außerdem wurde ein in bulgarischer Sprache abgefasster Kaufvertrag unterschrieben. Darin heißt es u.a. das Fahrzeug habe einen schweren Unfall erlitten und sei später in einer freien, der Verkäuferin nicht bekannten Werkstatt repariert worden. Die Reparatur entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften und es gebe dafür keine Dokumentation. Das Fahrzeug sei fahrbereit, habe aber viele technische Defekte, die der Käuferin bekannt seien.

Die Klägerin behauptete später, ihr sei der Inhalt des in Bulgarien unterzeichneten Kaufvertrags nicht mitgeteilt worden. Insbesondere sei ihr nicht gesagt worden, dass es sich um einen mit technischen Mängeln behafteten Unfallwagen handele. Erst bei der Nachuntersuchung in Deutschland habe sich herausgestellt, dass unter anderem die Airbags gefehlt hätten. Die Klägerin hat das Fahrzeug für 20.000 € weiterveräußert und nimmt die Beklagte mit ihrer Klage unter Anrechnung des Verkaufserlöses noch auf Schadensersatz i.H.v. 38.443 € in Anspruch.

Das LG hat seine internationale Zuständigkeit bejaht und der Klage weitestgehend stattgegeben. Das OLG hat die Klage im Berufungsverfahren als unzulässig abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Nach dem EuGH-Urteil vom 24.11.2020 in der Rechtssache C-59/19 (Wikingerhof) hat der Senat sein Ersuchen zurückgenommen, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann nicht verneint werden, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 am Sitz der Klägerin für die Prüfung des Klagebegehrens gegeben ist.

Macht ein in Deutschland ansässiger Kläger geltend, er habe aufgrund vorsätzlich falscher Angaben des in Bulgarien ansässigen Beklagten über den Zustand einer Sache in einer auf einer Internetplattform eingestellten Verkaufsanzeige einen Kaufvertrag abgeschlossen und den vereinbarten Kaufpreis an den Beklagten überwiesen und stützt der Kläger den Schadensersatzanspruch ausschließlich auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, ist für diese Klage der unionsrechtliche Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt das Zustandekommen eines Kaufvertrags zwischen den Parteien die Qualifikation des Klagebegehrens als unerlaubte Handlung i.S.d. Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 nicht aus.

Für die Frage der internationalen Zuständigkeit kommt es nicht darauf an, ob und mit welchem Inhalt eine weitere vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien über den Zustand des Fahrzeugs in Sofia geschlossen wurd. Ein solcher Vertrag würde die die Zuständigkeit begründende unerlaubte Handlung nicht beseitigen. Er wäre allein für die Frage relevant, ob der durch die behauptete unerlaubte Handlung begründete Schadensersatzanspruch nachträglich entfallen ist.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.09.2021 12:05
Quelle: BGH online

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