Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH v. 24.6.2021 - C 102/20

Inbox-Werbung bei kostenlosen E-Mail-Providern: EuGH-Generalanwalt hält Einwilligung für erforderlich

Der EuGH-Generalanwalt hat in einem Vorlageverfahren in seinen Schlussanträgen am 24.6.2021 das Bestehen einer Einwilligungspflicht für sog. Inbox-Werbung befürwortet.

Der Sachverhalt:
Der BGH hatte dem EuGH Fragen zur Anwendung der strengen Anforderungen an E-Mail-Werbung auf sog. Inbox-Werbung vorgelegt. Die Einordnung dieser Art der Werbung ist schwierig, weil sie sich einerseits vom technischen Modell der E‑Mail unterscheidet und andererseits vom Empfängerhorizont aus der unerbetenen E‑Mail (Spam) zum Verwechseln ähnlich ist, die hauptsächlich vom u. a. in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 genannten Schutzzweck erfasst ist.

Konkret erschienen die Werbenachrichten im privaten Postfach eines Nutzers eines E-Mail-Dienstes, genauer gesagt in der Inbox, d. h. in dem Bereich, in dem die eingegangenen E‑Mails listenförmig angezeigt werden, und eingebettet in eingegangene E‑Mails. Im Unterschied zu diesen E‑Mails war die mit dem Wort „Anzeige“ versehene Werbung grau unterlegt und enthielt weder ein Datum noch einen Absender, konnte nicht archiviert oder weitergeleitet werden und konnte auch nicht mit den vom E‑Mail-Dienstleister zur Verfügung gestellten Möglichkeiten zur Bearbeitung von E‑Mails beantwortet werden. Außerdem wurde sie nicht in die Anzahl der ungelesenen E‑Mails eingerechnet und belegte keinen Speicherplatz in der Inbox.

Der Generalanwalt geht in seinen Schlussanträgen von dem Bestehen einer Einwilligungspflicht aus. Er schlägt dem EuGH vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 dahin auszulegen ist, dass die Einblendung von Werbenachrichten in der Inbox eines Nutzers eines E‑Mail-Dienstes in einer Form, die der von E‑Mails ähnlich ist, und an derselben Stelle wie diese E‑Mails erscheint, eine „Verwendung … elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

Die Gründe:
Der Generalanwalt subsumiert die streitgegenständlichen Werbenachrichten unter den Begriff der „elektronischen Post“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. h der Richtlinie 2002/58. Letztlich sei ohne Bedeutung, dass die Empfänger dieser Nachrichten hier nach dem Zufallsprinzip bestimmt werden.

Die Frage, für welche Arten von Nachrichten das Erfordernis einer vorherigen Einwilligung der Empfänger gilt, ist laut Generalanwalt anhand von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 zu beantworten: Zum einen muss es sich um Nachrichten für die Zwecke der Direktwerbung handeln, d. h. um Nachrichten zu kommerziellen Zwecken, die sich direkt und individuell an die Nutzer elektronischer Kommunikationsdienste richten. Zum anderen müssen diese Nachrichten den Nutzern durch „[d]ie Verwendung von automatischen Anruf- und Kommunikationssystemen ohne menschlichen Eingriff (automatische Anrufmaschinen), Faxgeräten oder elektronischer Post“ zugehen. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 solle daher nicht generell für Werbefenster gelten, die beim Aufrufen von Internetseiten erscheinen können. (Abgrenzung vom Werbebanner).

Unabhängig davon, in welchem Umfang die für die Zwecke der Direktwerbung verwendeten Kommunikationsmittel in den Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 fallen sollen, hält es der Generalanwalt in der Situation, um die es im Ausgangsverfahren geht, für entscheidend, dass die in Rede stehenden Werbenachrichten ihre Adressaten tatsächlich durch die Verwendung elektronischer Post erreichen:

„Die streitige Werbepraxis ermöglicht es nämlich durch ihre Positionierung in der Inbox des Kontos eines Nutzers eines E‑Mail-Dienstes, diesen Nutzer direkt und individuell in der Privatsphäre, die eine solche passwortgeschützte Inbox darstellt, zu erreichen, und zwar mit einer Effektivität, die mir mit der von unerbetenen E‑Mails (Spam) vergleichbar zu sein scheint. Die Wahl der Position der streitigen Werbung in der Inbox ist nicht zufällig und stellt für die Anwendung von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 einen wesentlichen Unterschied zu Werbebannern dar, die am Rand und getrennt von der Auflistung der privaten E‑Mails erscheinen. Da die streitige Werbung nämlich auf derselben Ebene wie private E‑Mails erscheint, kommt ihr dieselbe Aufmerksamkeit zu wie die, die der Nutzer diesen privaten E‑Mails widmet. …

Die an der Verbreitung dieser Werbung beteiligten Wirtschaftsteilnehmer verwenden in einem solchen Fall die Inbox privater E‑Mails und das Interesse und Vertrauen, das die Nutzer eines E‑Mail-Dienstes dieser Inbox entgegenbringen, indem sie ihren Werbenachrichten ein Erscheinungsbild geben, das trotz gewisser geringfügiger Unterschiede dem privater E‑Mails ähnelt. Da die Werbenachrichten Zeilen in der Inbox einnehmen, die normalerweise privaten E‑Mails vorbehalten sind, und wegen ihrer Ähnlichkeit mit diesen privaten E‑Mails besteht außerdem die Gefahr einer Verwechslung zwischen diesen beiden Kategorien von Nachrichten, die dazu führen kann, dass ein Nutzer, der auf die der Werbenachricht entsprechende Zeile klickt, gegen seinen Willen auf eine die betreffende Werbung enthaltende Internetseite weitergeleitet wird, anstatt weiter seine privaten E‑Mails zu konsultieren.“

Im Ergebnis sei also eine Einwilligungspflicht anzunehmen.

Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH v. 24.6.2021 - C‑102/20

Besprechung von Dr. Carlo Piltz



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.06.2021 09:44

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