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Entwurfsmaterial im Schutzsystem der Software-Richtlinie (Antoine, CR 2019, 1)

Der Beitrag erläutert zunächst den Begriff des Entwurfsmaterials und seine erforderlichen Schutzvoraussetzungen und untersucht insbesondere, welche Programm-Vorstufen schutzfähig sein können (I.). Im Anschluss werden das Verhältnis des Entwurfsmaterials zum fertigen Programm erörtert (II.) und die Schlussfolgerungen zusammengefasst (III.).
Im Fokus der urheberrechtlichen Betrachtung im Softwarebereich steht naturgemäß die Frage nach der Schutzfähigkeit als Computerprogramm, insbesondere im Umfeld aktueller Entwicklungen. Nach der Software-Richtlinie und damit den §§ 69a ff. UrhG sind auch Programm-Vorstufen, mithin Entwurfsmaterial geschützt. Gerade wenn die Voraussetzungen eines „Computerprogramms“ schwer darlegbar sind, wie etwa bei Anwendungen „künstlicher Intelligenz“, kann der Schutz der entsprechenden Vorstufen ein hilfreiches Mittel darstellen. Wie der Begriff des Entwurfsmaterials im Anwendungsbereich der SoftwareRL auszulegen ist, war bisher weitgehend unbestimmt und ist jetzt Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH. Dies soll zum Anlass genommen werden, im Folgenden die Chancen und Herausforderungen eines Schutzes als Entwurfsmaterial sowie die Frage, was unter diesen Begriff fällt, zu beleuchten. Die Betrachtung berücksichtigt das anhängige Verfahren und erfolgt damit primär unter dem Blickwinkel der SoftwareRL.

Chancen und Herausforderungen

Inhaltsverzeichnis:

I. Begriff des Entwurfsmaterials - Schutzvoraussetzungen

1. Eignung zur Programmentwicklung

a) Software-Richtlinie
b) Rechtsprechung des EuGH
c) Vorlegendes schwedisches Gericht
d) Abgrenzungsansätze im nationalen Recht
e) Umfang des Schutzbereichs

f) Praktikabilität
aa) Agile Projektmethodik
bb) Anpassungsprojekte
cc) Neuronale Netze

g) Zusammenfassung

2. Abgrenzung zwischen Idee und Ausdruck

3. Eigene geistige Schöpfung

a) Entwurfsmaterial
b) Umsetzung des Entwurfsmaterials (Programm)

II. Verhältnis Entwurfsmaterial - Computerprogramm

1. Bearbeitung

2. Andere Ausdrucksform

3. Mitwirkung nur im Entwurfsstadium

4. Zusammenfassung

III. Fazit und Schlussfolgerungen


I. Begriff des Entwurfsmaterials – Schutzvoraussetzungen

1. Eignung zur Programmentwicklung

a) Software-Richtlinie

[1] Für Entwurfsmaterial ist weitgehend offen, ab wann und bis zu welchem Zeitpunkt der Schutz greifen soll. Art. 1 Abs. 1 S. 2 Software-Richtlinie 1  bestimmt, dass der Begriff „Computerprogramm“ auch das Entwurfsmaterial zu dessen Vorbereitung umfasst, gem. Erwägungsgrund 7 jedoch nur, sofern die Art der vorbereitenden Arbeit die spätere Entstehung eines Computerprogramms zulässt. Diese Voraussetzung tritt für Entwurfsmaterial an die Stelle des für das „fertige“ Computerprogramm geltenden Programmbegriffs. Nur für Entwurfsmaterial i.d.S. findet die SoftwareRL mit ihrem speziellen Schutzregime, welches im Vergleich zu den allgemeinen urheberrechtlichen Regelungen 2  zahlreiche Unterschiede aufweist, Anwendung. Entscheidend ist nach dem Wortlaut, dass Entwurfsmaterial geeignet bzw. soweit gediehen sein muss, um auf seiner Basis ein Computerprogramm in Codeform schreiben zu können. 3

b) Rechtsprechung des EuGH

[2] Der EuGH hat in BSA  4  und SAS Institute  5  den Schutzbereich des Art. 1 SoftwareRL konkretisiert. Dieser umfasst die Ausdrucksformen eines Computerprogramms und das Entwurfsmaterial, das zur Vervielfältigung oder späteren Entstehung eines Computerprogramms führen kann 6 . Der Ausdrucksform eines Computerprogramms komme ab dem Moment Schutz zu, ab dem deren Vervielfältigung die Vervielfältigung des Computerprogramms zur Folge hätte und auf diese Weise der Computer zur Ausführung seiner Funktion veranlasst werden könne. 7

[3] Für den Programmbegriff legt der EuGH mit seiner Bezugnahme auf die Funktionsveranlassung als entscheidendes Kriterium ein Steuerungselement zugrunde, was dem Verständnis des nationalen Urheberrechts entspricht. 8  Hinsichtlich des Programms ergibt sich ein primärer Zuschnitt auf die in Codeform ausgedrückten Steuerungsbefehle (in Quell- oder Objektcode) als Schutzgegenstand. 9  Nicht steuerungsbezogenen Elementen soll Schutz nur nach allgemeinen Vorschriften zukommen. 10

[4] Wie sich das Entwurfsmaterial in dieses System einfügt, ist fraglich. 11  Fordert man schon für Entwurfsmaterial das für den Programmbegriff maßgebliche Steuerungselement, wäre dessen Schutz nahezu ausgeschlossen. 12  Dagegen spricht jedoch die differenzierende Formulierung des EuGH. Daneben sind Wortlaut und Ziel der SoftwareRL eindeutig, Entwurfsmaterial soll – unabhängig von der Anwendungsfunktion – dem Programmschutz unterfallen. 13  Deshalb erscheint ein Verzicht auf das Steuerungselement für Entwurfsmaterial geboten. 14  Folgern lässt sich allenfalls, dass für einen Schutz als Entwurfsmaterial eine hinreichende technische Nähe zum Programm in Codeform bestehen muss.

c) Vorlegendes schwedisches Gericht

[5] Das in Sachen Dacom  15  vorlegende schwedische Gericht scheint einerseits „Anforderungen an die von einem Computerprogramm auszuführenden Funktionen und das vom Computerprogramm zu erzielende Ergebnis“ als evtl. schutzfähig zu erachten. Andererseits stellt es als mögliche Voraussetzung eine so weitgehende Konkretisierung von programmiertechnischen Vorgaben durch das Entwurfsmaterial in den Raum, dass für die Umsetzung in Codeform durch den ausführenden Programmierer keinerlei eigene Entscheidungen mehr zu treffen sind. Das Gericht definiert damit einerseits eine mögliche Untergrenze sowie andererseits eine Höchstschwelle für die Anforderungen, die Entwurfsmaterial erfüllen muss.

d) Abgrenzungsansätze im nationalen Recht

[6] Das deutsche Urheberrecht greift für die Bestimmung, wann es sich bei Vorstufen eines Programms um Entwurfsmaterial handelt, auf die Abgrenzung verschiedener Entwicklungsphasen zurück. 16  Allerdings gibt es diverse Varianten der Phaseneinteilung und unterschiedliche Detaillierungsgrade. 17

[7] Ausgehend von klassisch linearem Vorgehen soll einem Material, das fachliche Anforderungen (etwa zu betriebsinternen Abläufen, betriebswirtschaftlichen Vorgaben) an das zu entstehende Programm enthält, mangels Geeignetheit, ein Programm daraus erstellen zu können, kein Schutz als Entwurfsmaterial zukommen (insb. Lastenheft). 18

[8] Technische Spezifikationen und Programmvorgaben, wie Datenflusspläne und Programmablaufpläne sowie technische Grob- und Feinspezifikation, sind als Entwurfsmaterial schutzfähig. 19  Die darin festgelegten Anforderungen beziehen sich unmittelbar auf die Erstellung des Programms, so dass hinreichende Nähe zu diesem vorliegt – wenn auch in Frage steht, ob lediglich auf dieser Basis eine Codierung möglich ist.

e) Umfang des Schutzbereichs

[9] Zusammengefasst liegt Entwurfsmaterial ab dem Zeitpunkt vor, ab dem es möglich ist, auf Basis dessen ein Programm zu schreiben. Sobald eine Entwicklungsstufe erreicht wird, die Steuerungsbefehle in Codeform umsetzt und damit den Programmbegriff erfüllt, würde es sich nicht mehr um Entwurfsmaterial, sondern das Programm selbst handeln.

[10] Um das Kriterium der Geeignetheit zur Programmentwicklung zu konkretisieren, liegt es entsprechend den vorherigen Ausführungen nahe, technische, programmspezifische Vorgaben zu fordern. Auf Basis fachlicher Anforderungen an Funktionen und Eigenschaften des zu erzielenden Ergebnisses kann eine Programmentwicklung noch nicht stattfinden, so dass diese kein Entwurfsmaterial darstellen dürften. 20

[11] Zu weitgehend, erscheint es, eine Konkretisierung zu fordern, die jeglichen Entscheidungsspielraum für den Programmierer ausschließt. 21  Müsste Entwurfsmaterial diesen technischen Detaillierungsgrad erreichen, wäre es schon „das Programm selbst“, lediglich in anderer Darstellungsform. 22  Der Schutz von Vorstufen liefe damit entgegen der in der SoftwareRL getroffenen Regelungen leer.

[12] Folge der Schutzfähigkeit als Entwurfsmaterial ist die Zuweisung der Ausschließlichkeitsrechte nach Art. 4 Abs. 1 SoftwareRL (§§ 69c Nr. 1–3 S. 1 UrhG). 23  Dies zeigt die Verwendung des Begriffs „Computerprogramm“, der nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 SoftwareRL das Entwurfsmaterials mitumfassen soll. Während sich bei der Umsetzung des Entwurfsmaterials in Codeform an eine Art bestimmungsgemäße Benutzung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 SoftwareRL denken ließe (s.a. Begriff „Computerprogramm“), erscheint eine Anwendung der Regelungen zur Sicherungskopie und Programmbeobachtung (Art. 5 Abs. 2 u. 3) sowie Dekompilierung (Art. 6) nicht nur denklogisch sondern auch teleologisch und aufgrund des Wortlauts „Programmkopie“ 24  bzw. der expliziten Bezugnahme auf die „Codeform“ 25  ausgeschlossen.

(...)

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.01.2019 11:24

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