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Scarlet-Urteil des EuGH: Folgerungen streitig

Obwohl der EuGH in seiner Scarlet-Entscheidung (Urt. v. 24.11.2011 - C-70/10, CR 2012, 33) Urheberrechte auch für präventiv schützenswert erachtet, kann der Logik dieser Entscheidung keine Mitwirkungspflicht der Provider an einem allgemeinen, auch präventiven Modell für den Schutz des geistigen Eigentums im Internet entnommen werden.

1. Die Entscheidung

Der EuGH hat mit dem Scarlet-Urteil (Urt. v. 24.11.2011 - C-70/10, CR 2012, 33) eine lange erwartete Entscheidung in Sachen SABAM gegen Scarlet Extended SA zur Frage der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet erlassen. In den Reaktionen auf das Urteil besteht zunächst Einigkeit darin, dass der EuGH das im Verfahren streitige, dem Internet Access Provider gerichtlich auferlegte Filtersystem zur Vorbeugung gegen Urheberrechtsverletzungen als europarechtswidrig angesehen hat. Die streitgegenständliche Filterung

a) sämtlicher Peer-to-Peer Kommunikation,
b) unterschiedslos in Bezug auf sämtliche Kunden des Providers, welches
c) präventiv,
d) ausschließlich auf seinen eigenen Kosten und
e) zeitlich unbegrenzt einzurichten war,

verstößt nach Ansicht des EuGH einerseits gegen Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG) sowie das Grundrecht das Providers nach Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) auf Schutz der unternehmerischen Betätigungsfreiheit, andererseits gegen die Grundrechte der betroffenen Kunden aus Art. 8 und 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen [Rn. 29, 40, 49, 53 = CR 2012, 33 (34-36)].

2. Falsche Folgerung

Das Urteil befindet sich damit im Brennpunkt der zum Teil hitzig geführten Debatte zwischen der Internetwirtschaft einerseits und der Inhalteindustrie (insbesondere der Musikindustrie) andererseits über den Umfang von Verpflichtungen der Internet Access Provider zur Verfolgung und Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen im Internet. Mit dem Urteil hat die Internetwirtschaft einen Etappensieg davon getragen, der wiederum von der Inhalteindustrie zum Anlass genommen wird, jetzt erst recht gesetzgeberische Maßnahmen zu fordern, um die Access Provider in die Pflicht zu nehmen. So seien nach der Logik der Entscheidung auch die "Provider in der Pflicht, sich an einem Modell zum Schutz des geistigen Eigentums zu beteiligen, das sowohl präventiv als auch repressiv ansetzt". (so Schwartmann, Legal Tribune Online v. 24.11.2011, www.lto.de/de/html/nachrichten/4892/eugh-zum-urheberrechtsschutz-provider-musssen-nicht-auf-ihre-kosten-filtern-und-sperren).

Genau in dieser als Folgerung erhobenen Forderung liegt allerdings die Crux des EuGH-Urteils. So hat der EuGH zwar festgestellt, dass Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG sowie Art. 11 S. 3 Richtlinie 2004/48/EG (Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums) dahingehend auszulegen seien, dass Maßnahmen zur Rechtsverfolgung ebenso möglich sein müssten wie vorbeugende Maßnahmen (Rn. 31 = CR 2012, 33 (34f.)). Auch stellt der EuGH fest, dass auch der Schutz des Rechts am geistigen Eigentum in Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sei.

3. Bezug auf gerichtlichen Maßnahmen

Allerdings lässt die Forderung nach einem allgemeinen präventivem Schutzmodell bereits außer Acht, dass der EuGH und die von ihm zitierten Richtlinienbestimmungen die Schutzmaßnahmen (seien sie repressiv oder präventiv) auf gerichtliche (und nicht etwa behördliche) Maßnahmen beziehen. Bei dieser Einbettung kann es demnach auch bei einen präventiven System schon im Grundsatz nicht um die Erkennung und Verhinderung von Rechtsverletzungen ohne vorherige Kenntnis von Verletzer und Verletzungshandlung gehen.

Danach ist dem Scarlet-Urteil eine angebliche Entscheidungslogik zur Mitwirkungspflicht der Provider an einem allgemeinen, auch präventiven Modell für den Schutz des geistigen Eigentums im Internet gerade nicht zu entnehmen. Insoweit müssen auch die übrigen Ausführungen der im Scarlet-Urteil zugrunde gelegten Begründungspassagen des EuGH-Urteils vom 12.7.2011 (C-324/09- L"Oréal, CR 2011, 597 m. Anm. Volkmann) mitgelesen werden. Schon dort heißt es, dass nicht nur Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie sondern auch Art. 2 und 3 der Richtlinie 2004/48 einem aktiven Überwachungssystem in Bezug auf sämtliche Kunden des Anbieters zur Vorbeugung von Rechtsverletzungen von vornherein entgegenstehen (Rn. 139 f. = CR 2011, 597 (606)).

Die vom EuGH im Scarlet-Urteil beschriebene präventive Maßnahme wäre anders als offenbar gefordert daher von vornherein ihrem Inhalt nach restriktiv zu definieren und verfahrensseitig den Gerichten vorbehalten. Ein solcher Vorbehalt für eine Gerichtsentscheidung ist schon deswegen unumgänglich, weil jegliche, auch restriktiv verstandene Präventivmaßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in das einerseits nach Art. 10 GG und andererseits nach § 206 StGB und § 88 TKG geschützte Fernmeldegeheimnis bedeuten wird. Denn wie sollen Rechtsverletzungen erkennbar sein, wenn nicht die durch das Fernmeldegeheimnis geschützten Inhalte der Kommunikation geprüft werden?

4. Fazit: Keine Störerhaftung ohne Verkehrssicherungspflicht

Vor diesem Hintergrund ist wiederum die im Jahre 2008 erfolgte Änderung von § 101 UrhG zu direkt gegen Access Provider gerichteten Auskunftsansprüchen zu sehen. Dort hat der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung der auch vom EuGH im Scarlet-Urteil als Grundlage für präventive Maßnahmen zitierten Bestimmung des Art. 11 S. 3 der Richtlinie 2004/48/EG gefolgert, dass die von der Rechtsprechung entwickelten und weiter zu entwickelnden Grundsätze zur Störerhaftung ausreichend seien (BT Drs. 16/5048, S. 32 i.V.m. S. 30). Diese Grundsätze hat der BGH mit Urteil vom 17.12.2010 (V ZR 44/10, CR 2011, 325) dann auch tatsächlich in Bezug auf die Störerhaftung des Betreibers einer Internet-Plattform weiter entwickelt. Am damaligen Befund des Gesetzgebers hat sich also auch mit Blick auf das Scarlet-Urteil des EuGH nichts verändert. Dass der BGH in der genannten Entscheidung eine Störerhaftung mangels Vorliegen der von ihm selbst entwickelten Verkehrssicherungssicherungspflichten auch mit Blick auf die Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce Richtlinie umsetzende Bestimmung des § 7 Abs. 2 TMG verneint, ist dabei nur folgerichtig.

RA Sven-Erik Heun, Bird & Bird LLP, Frankfurt a.M..

 

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.02.2012 16:56