Aktuell im ITRB

Waffengleichheit und rechtliches Gehör im äußerungsrechtlichen Verfügungsverfahren (Härting, ITRB 2019, 165)

Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs im Verfügungsverfahren unterliegt in der gerichtlichen Praxis einigen Besonderheiten. So kommt es häufig vor, dass Beschussverfügungen ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners erlassen werden. Dieses Vorgehen, das die prozessuale Waffengleichheit der Parteien beeinträchtigt, ist Gegenstand jüngster Rechtsprechung des BVerfG, die weitreichende Auswirkungen haben könnte.


1. Ausgangssituation

2. Neue Entscheidungen des BVerfG

a)     BVerfG v. 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17

b)     BVerfG v. 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17

c)     Prozessuale Waffengleichheit

3. Praxisfolgen

a)    Hinweispraxis

b)    Verzicht auf eine mündliche Verhandlung

c)    Anhörung des Gegners

d)    Stellenwert der Abmahnung

e)    Stellenwert der Schutzschrift

4. Fazit
 

1. Ausgangssituation

Wer schon einmal eine einstweilige Verfügung beantragt hat, kennt das: Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist es schon lange gängige Praxis, Beschlussverfügungen ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners zu erlassen, obwohl § 937 Abs. 2 ZPO dies nur im Ausnahmefall zulässt. Wenn es nicht passt, wird es gerne auch passend gemacht. Ist das Gericht der Auffassung, es könne die einstweilige Verfügung nicht antragsgemäß erlassen, werden die Anwälte des Antragstellers angerufen. Man erteilt ein paar Hinweise, und der Antragsteller erhält die Gelegenheit, den Antrag nachzubessern oder zurückzunehmen. Die Gegenseite erfährt hiervon im Normalfall nichts. Und in der Verfahrensakte finden sich allenfalls spärliche Hinweise auf das Telefonat und die fernmündlich erörterten Fragen.

Als Anwalt des Antragstellers hat man sich schon lange auf die gerichtliche Praxis eingerichtet. Es ist üblich, das Gericht in der Antragsschrift ausdrücklich zu bitten, bei Bedenken gegen die Zulässigkeit oder Begründetheit Hinweise zu erteilen. So erfährt der Antragsgegner nie von einem erfolglosen Antrag. Bei Unterschieden zwischen der Rechtsprechung und Rechtspraxis einzelner Gerichte ist es sogar verbreitet, mit demselben Antrag noch einmal bei einem anderen Gericht sein Glück zu versuchen.

Das „Auseinanderklaffen von gesetzlichen Normalfall und Verfahrenspraxis“ 1 führt schon lange zu verfassungsrechtlichen Problemen in Hinblick auf die prozessuale Waffengleichheit. Jetzt hat das BVerfG in zwei am selben Tag getroffenen Entscheidungen einige der routinemäßigen Praktiken der Fachgerichte als verfassungswidrig einstuft.

2. Neue Entscheidungen des BVerfG

a) BVerfG v. 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17

Die Entscheidung des BVerfG hatte einen Beschluss des OLG Hamburg zum Gegenstand. 2 Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte über ein Steuersparmodell berich- ITRB 2019, 166tet, mit dem ein Fernsehmoderator angeblich Geld sparen wollte. Der Moderator forderte eine Gegendarstellung. Der Verlag lehnte dies ab, so dass sich der Moderator an die bekannte Pressekammer des LG Hamburg wandte, um seinen Gegendarstellungsanspruch per einstweiliger Verfügung durchzusetzen. Mit der Formulierung des Verfügungsantrags hatte er erst nach mehreren Anläufen vor dem OLG Hamburg Erfolg.

Im Rahmen des langwierigen einstweiligen Verfügungsverfahrens hatten das LG und das OLG den Verlag nicht angehört. Zugleich telefonierten die Richter jedoch mehrfach mit den Anwälten des Moderators und erteilten Hinweise zur Formulierung des Antrags. Der Verlag erfuhr von dem Antrag erst, als ihm die einstweilige Verfügung des OLG Hamburg zugestellt wurde. Dies verletzte (...)
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.06.2019 15:16
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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