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Urheberrechtliche Zulässigkeit von Sampling (Papastefanou, CR 2019, 36)

Der Beitrag bietet eine Übersicht über die relevanten Fragestellungen des Rechtsstreits rund um das Werk „Metall auf Metall“ und nimmt eine kritische Würdigung des entsprechenden BVerfG-Urteils vor. Auf dieser Grundlage wird erörtert, wie sich die Position des EuGH Generalanwalts in seinem Schlussanträgen bei dem laufenden Vorlageverfahren darstellt. Die grundlegende Frage nach einem Ausgleich zwischen Leistungsschutzrechten und bestehenden Rechten des geistigen Eigentums setzt sich im Rahmen des EuGH-Verfahrens fort. Rechtsdogmatische Schwierigkeiten und medienspezifische Betrachtungsweisen bereiten grundsätzliche Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Entwicklung eines praktikablen und interessengerechten Maßstabs. Schließlich wird eine Bewertung vorgenommen, wie sich das anstehende EuGH-Verfahren bezüglich der relevanten Vorlagefragen entscheiden sollte und eine Prognose gewagt, wie sich der EuGH schlussendlich positionieren wird.

Die Reichweite der Kunstfreiheit im Werkbereich von digitalen Kulturtechniken

Inhaltsverzeichnis:

I. Entwicklung der urheberrechtlichen Fragestellung im Verfahrensgang

1. Maßstabsbildung durch das BVerfG

2. Kritische Würdigung der BVerfG-Kriterien

a) Rechtliche Herausforderungen der Maßstabs-Elemente
aa) Irrelevanz inhaltlichen Abstands
bb) Erosion des Urheberrechts durch zeitlichen Abstand
cc) Vielfältigkeit referenzieller Kunst
dd) Folge für die Abwägung

b) Relevanz wirtschaftlicher Nachteile
c) Fehlende bzw. unzureichend berücksichtigte Aspekte des Urheberpersönlichkeitsrechts
d) Unvorhergesehene Rechtsfolgenproblematik im digitalen Zeitalter?

2. Ansatz des BGH und Vorlagefragen

3. Ansätze des Generalanwalts Szpunar

a) Umfassende Abwägung statt de-minimis Regelung
b) Weite wirtschaftliche Betrachtungsweise
c) Kunstfreiheit vs. Urheberrecht?
d) Recht auf Integrität des Kunstwerks

II. Fazit


I. Entwicklung der urheberrechtlichen Fragestellung im Verfahrensgang

[1] Dass Sampling in der Musikindustrie seit geraumer Zeit eine erhebliche Rolle spielt, lässt sich sehr eindrucksvoll an der großen Anzahl an Samplings beobachten. 1  Die Besonderheit gegenüber dem einfachen Kopieren von Musikwerken besteht darin, dass beim Sampling Musikfragmente direkt einem Tonträger entnommen werden, um sie in einem neuen Musikwerk auf einem anderen Tonträger zu verwenden, wobei hier eine weitere – in der Regel kreative – Bearbeitung und Vermischung erfolgt.

[2] In der Revisionsentscheidung des BGH wurde eine analoge Anwendung des Rechts auf freie Benutzung nach § 24 UrhG für möglich gehalten. Das im Rahmen dieser Entscheidung entwickelte Kriterium der „gleichwertigen Nachspielbarkeit“ bzw. des „gleichwertigen Nachbaus“ als Grenze für die analoge Anwendung beschäftigte sich mit der Frage, ob die fragliche Rhythmussequenz durch den neuen Musikproduzenten auch mit eignen Mitteln ohne eine direkte Entnahme aus dem entsprechenden Tonträger möglich ist. 2  Diese Herangehensweise hat in der juristischen Literatur erhebliche Gegenstimmen erfahren 3  und wurde auch im darauffolgenden BVerfG-Verfahren in Karlsruhe als unvereinbar mit der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG eingeordnet. 4  Allerdings war bereits zu diesem Zeitpunkt in beiden Gerichten bekannt, dass die europarechtlichen Harmonisierungsbestrebungen ein Vorlageverfahren bedeuten könnte. 5

[3] Das BVerfG 6  legte in seiner Sampling-Entscheidung besonderen Fokus bei der Auslegung des § 24 UrhG auf die Abwägungsfrage zwischen den verfassungsrechtlichen Elementen der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 GG des Rechteinhabers des Tonträgers und der Kunstfreiheit des Künstlers, der die Tonelemente per Sampling weiterbenutzt. Ein entsprechender Eingriff in die Eigentumsfreiheit des Rechteinhabers in Form der Urheberrechte könnte daher grundsätzlich durch die Ausprägung der Kunstfreiheit gerechtfertigt sein, auch ohne die vorherige Einholung einer Lizenz beim Rechteinhaber. 7

1. Maßstabsbildung durch das BVerfG

[4] Um die grundsätzliche Bedeutung der BVerfG-Kriterien besser einzuordnen und die Frage der praktischen Konkordanz zwischen künstlerischer Vielfalt und wirtschaftlichen Verwertungsrechten des Eigentümers zu verstehen, ist es notwendig, den im Rahmen der Entscheidung entwickelten Maßstab näher zu untersuchen.

[5] Von großer Bedeutung neben den einfachen Kriterien wie „zeitlicher und inhaltlicher Abstand“ ist insbesondere die Anerkennung von einer „kunstspezifischen“ Auslegung des Grundrechts auf Kunstfreiheit. Eine solche spezifische Auslegung soll gerade die Berücksichtigung von genretypischen Aspekten innerhalb einer bestimmten Kunstform ermöglichen. 8

[6] Die wirtschaftlichen Interessen der Rechteinhaber am Tonträger hingegen wurden als besonders zugänglich im Rahmen der Abwägung erachtet. Eine teleologische Auslegung der Leistungsschutzinteressen soll so gerade bedeuten, dass ein enges Verständnis von wirtschaftlicher Verwertung und wirtschaftlichem Schaden durch den Referenzkünstler geboten ist. 9  Interessanterweise erwähnt das BVerfG nicht die grundsätzliche Möglichkeit der Berücksichtigung von Urheberpersönlichkeitsrechten, was gerade bei den vielfältigen Gestaltungen von referenzieller Nutzung von besonderer Relevanz sein kann. Dies lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass im konkreten Fall des Samplings Rechteinhaber und Originalkünstler nicht identisch sind, so dass sich diese Frage nicht direkt stellt. Außerdem weist die konkrete Musikbranche aufgrund der Üblichkeit des Sampling und des „Industrie-Charakters“ nur selten persönlichkeitsrechtliche Probleme auf.

[7] Gegenüber dem BGH-Ansatz, eine Auslegung von § 24 UrhG vorzunehmen, begibt sich das BVerfG mehr in Richtung eines freien Abwägungsprozesses, welcher eine klassische verfassungsrechtliche Methode zur Herstellung von praktischer Konkordanz darstellt. 10

2. Kritische Würdigung der BVerfG-Kriterien

[8] Die Anerkennung der Üblichkeit des Sampling in der Musikbranche als „genretypischer Aspekt“ indiziert, dass dieses Kriterium als ein relevantes Grundsatzkriterium für Instanz-Gerichte für referenzielle Kunst in jeglicher Form zu sehen ist.

[9] Die beschriebenen Maßstäbe zeigen jedoch einige rechtliche Schwierigkeiten sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite auf. Diese Umstände lassen sich in der Regel darauf zurückführen, dass die Entwicklung eines generellen Maßstabs, die im Kontext des speziellen Kunstbereichs des Sampling erfolgt, weiteren Entwicklungsbedarf hat und nicht abschließend auf alle erdenklichen Kunstformen übertragbar sein kann.

a) Rechtliche Herausforderungen der Maßstabs-Elemente

[10] Die Kriterien des BVerfG sind gerade im Bereich des Sampling noch einigermaßen rechtssicher anwendbar und praktikabel, da sie spezifisch in der Sampling-Umgebung der Musikbranche entwickelt worden sind. Dies gilt insbesondere für die Kriterien des zeitlichen und inhaltlichen Abstands. Bei der Bewertung eines Sampling-Falls sind in nahezu allen Fällen zwei Musikwerke identifizierbar und vergleichbar. Außerdem lässt sich der auf das Sampling zurückführbare Teil des neuen Musikwerks verhältnismäßig leicht identifizieren und so ein inhaltlicher Abstand herstellen.

aa) Irrelevanz inhaltlichen Abstands

[11] Es fällt allerdings schnell auf, dass diese Aspekte sehr stark auf den Bereich des Samplings beschränkt sind. Zunächst ist es beim Sampling im Regelfall irrelevant, ob ein Zuhörer die ursprüngliche Tonfolge im neuen Werk als bekannte Tonfolge wahrnimmt und den Zusammenhang herstellt. Bei Parodien oder Kritiken ist dieser Aspekt erheblich relevanter, da er für diese Kunstformen gerade konstitutiv ist. Ein inhaltlicher Abstand kann daher nicht als praktikables Kriterium erachtet werden.

[12] Beispiele im Rahmen moderner Kunst sind etwa YouTube-Kanäle oder Twitch-Channel, die mittels Compilations, Bewertungen und Reviews, Let’s Plays, Walk-Throughs oder Live-Streaming Unterhaltungsprogramme 11  darbieten.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.01.2019 13:17

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