EU: Verabschiedung der Richtlinie gegen Kinderpornographie

Am 15.11.2011 hat der Rat die Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie verabschiedet.

Verfahrensstand-Anzeiger

Hinweis: Materialien zu diesem Gesetzgebungsvorhaben können am Ende dieser Seite abgerufen werden.

 Zuvor hatte im Oktober das Europäische Parlament der Richtlinie zugestimmt.

Vorausgegangen waren intensive Verhandlungen über den Richtlinienentwurf der Kommission. Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU Parlaments hat insbesondere die von der Kommission vorgeschlagene Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Sperrung von Internetseiten abgelehnt. Der Alternativvorschlag des Ausschusses legt einen deutlich anderen Schwerpunkt. Gemäß dem Alternativvorschlag sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, damit Internetseiten, die Kinderpornographie enthalten, aus dem Internet entfernt werden. Lediglich ergänzend wird in dem Entwurf den Mitgliedstaaten freigestellt, ob sie zusätzlich eine Sperrung von Internetseiten vorantreiben. In der Sache hat sich das Parlament durchgesetzt. Mit Art. 25 der Richtlinie wird - vergleichbar dem Ergebnis des Diskussionsprozesses in Deutschland - der Schwerpunkt auf die Entfernung der Inhalte gesetzt. Dies geschieht allerdings ohne den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu nehmen, Sperrmaßnahmen zu implementieren.

Anpassungsbedarf (siehe 3. unten) besteht insbesondere im Hinblick auf die Kriminalisierung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten sowie der Kriminalisierung von Vorbereitungshandlungen zum sexuellen Missbrauch von Kindern ("Grooming"). Während die Richtlinie diesbezüglich eine Kontaktaufnahme durch "Informations- und Kommunikationstechnologie" erfasst, führt der Umstand, dass das deutsche Recht die "Einwirkung durch Schriften" voraussetzt, dazu, dass internetbezogenes Geschehen faktisch nicht erfasst wird.

Autor: Prof. Dr. Marco Gercke, Cybercrime Research Institute, Köln.

Text der Vorversion(en):


Im Februar 2011 hat der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU Parlaments den Entwurf der EU Kommission im Hinblick auf die Regelung zur Sperrung von Internetseiten in Art. 21 des Entwurfs abgelehnt. Im Gegensatz zum Vorschlag der EU-Kommission regt der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres an, Internetseiten mit Kinderpornographie an der Quelle aus dem Internet zu entfernen und es den Mitgliedstaaten freizustellen, ob der Zugang zu derartigen Internetseiten darüber hinaus auch noch gesperrt werden muss.

Mit dem Entwurf einer Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornographie, hat die EU im März 2010 die erste Internet-bezogene Harmonisierungsinitiative nach der Ratifikation des Lissabon-Vertrags vorgelegt. Aus Internet-strafrechtlicher Sicht enthält der Richtlinienentwurf drei zentrale Elemente:

  • Die Ausweitung der Kriminalisierung von kommunikationsbezogenen Handlungen im Zusammenhang mit Kinderpornographie,
      
  • die Kriminalisierung der elektronischen Kontaktaufnahme mit Kindern zur Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs und
      
  • die Sperrung von Internetseiten mit Kinderpornographie.

1. Hintergrund
Der Richtlinienentwurf reiht sich ein in Maßnahmen der EU zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet. Bereits 1996 hat sich die EU im Rahmen einer Mitteilung mit illegalen und schädlichen Inhalten im Internet auseinandergesetzt. Ergänzt wurde dies 1999 durch den Aktionsplan "Sicheres Internet", mit dem unter anderem die Bekämpfung von illegalen und schädlichen Inhalten in Netzwerken vorangetrieben werden sollte. Im Jahr 1999 erging eine Entscheidung des EU Parlaments und Rates zur Bekämpfung illegaler Inhalte im Internet. Vorgänger des gegenständlichen Richtlinienentwurfs ist der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie aus dem Jahr 2003.

Neue Kompetenzen durch Lissabon Vertrag: Mit Art. 83 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (VAEU) besteht erstmals eine ausdrücklich zugewiesene Kompetenz der EU im Bereich der Computerkriminalität. Bis zum Inkrafttreten des Lissabon Vertrags im Dezember 2009 war die Kompetenzverteilung zur Harmonisierung des Strafrechts innerhalb der EU umstritten. Bis 2005 bestand innerhalb der ersten Säule (Europäische Gemeinschaft) nach h.M. keine Kompetenz zur Angleichung des Strafrechts der Mitgliedstaaten. Wesentliche Impulse im Bereich des Internetstrafrechts, wie beispielsweise der EU-Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung von Kinderpornographie, erfolgten daher innerhalb der dritten Säule. Erst durch ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2005, mit dem das Gericht einen Rahmenbeschluss zum Schutz der Umwelt für nichtig erklärt hatte, wurde die Verteilung von Kompetenzen im Bereich des Strafrechts zwischen der ersten und dritten Säule neu bestimmt. Obwohl der EuGH im Jahr 2007 diese Rechtsprechung im Rahmen eines zweiten Urteils in wesentlichen Teilen bestätigte, blieb eine Intensivierung der Harmonisierungsbestrebungen innerhalb der ersten Säule aufgrund der beschränkten Sachkompetenz aus.
Art. 83 Abs. 1 UA 2 VAEU sieht nunmehr eine Zuständigkeit für schwere, grenzüberschreitender Straftaten zu. Gemäß Art. 83 Abs.1 UA 2 VAEU zählen dazu sowohl Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern wie auch Computerkriminalität. Mit dem Stockholm-Programm, das die Schwerpunkte der Tätigkeit im Bereich Justiz und Inneres festlegt, hat die EU zum Ausdruck gebracht, dass sie die ihr gegebenen neuen Möglichkeiten nutzen wird. Das Programm nimmt Bezug auf Art. 83 Abs.1 VAEU und räumt dabei Maßnahmen gegen Kinderpornographie und Computerkriminalität Priorität ein.

2. Wesentliche Inhalte des Richtlinienentwurfs
Aus Internet-strafrechtlicher Sicht enthält  der stark an der Europaratskonvention orientierte Richtlinienentwurf drei zentrale Elemente:

  1. Die Ausweitung der Kriminalisierung von kommunikationsbezogenen Handlungen im Zusammenhang mit Kinderpornographie,
      
  2. die Kriminalisierung der elektronischen Kontaktaufnahme mit Kindern zur Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs sowie
      
  3. die Sperrung von Internetseiten mit Kinderpornographie.

Internet und Verbreitung von Kinderpornographie: Der Richtlinienentwurf verweist darauf, dass die Computer- und Informationstechnologie die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie unterstützt. Der Trend zur Verlagerung von Aktivitäten im Bereich des Austauschs von Kinderpornographie ist bereits seit Ende der 90er Jahre erkennbar. Folgerichtig berührt der Richtlinienentwurf zwei wesentliche Kernkompetenzen.

Europaratskonvention zum Schutz von Kindern: Der Entwurf nimmt Bezug auf die Europaratskonvention zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (ETS 201). Nach Auffassung der Verfasser des Entwurfs stellt diese Konvention die derzeit höchsten internationalen Standards dar. Die Europaratskonvention wurde 2007 zur Unterzeichnung ausgelegt. 24 Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, haben die Konvention am Tag der Auslegung unterzeichnet. Bis Dezember 2010 haben 18 weitere Staaten die Konvention unterzeichnet. Neben der Stärkung präventiver Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Implementierung von Interventionsprogrammen enthält die Konvention in Kapitel 6 einen Katalog mit Straftatbeständen. Dabei sieht die Konvention neben der Kriminalisierung des sexuellen Missbrauchs (Art. 18), der Kinderprostitution (Art. 19) und der Teilnahme von Kindern an pornographischen Aufführungen (Art. 21) in Art. 20 die Kriminalisierung von Tathandlungen im Hinblick auf Kinderpornographie sowie bestimmte Formen der Kontaktaufnahme mit Kindern zur Begehung strafbarer Handlungen vor.

a) Kriminalisierung des Zugriffs auf Kinderpornographie
Der Entwurf enthält wie die Europaratskonvention eine Strafvorschrift zur Kriminalisierung des Zugriffs auf Kinderpornographie (Art. 5 Nr. 3). Die Kriminalisierung des Zugriffs auf kinderpornographische Internetseiten geht über traditionelle Ansätze, die die Verbreitung, das Zugänglichmachen oder den Besitz unter Strafe stellen, hinaus. Begründet wird dies in der Entwurfserläuterung mit dem Umstand, dass das reine Betrachten von Kinderpornographie auf Internetseiten (ohne Herunterladen von Bildern) von der klassischen Besitzstrafbarkeit nicht erfasst wird.
Die deutsche Übersetzung des Entwurf von Art. 5 Nr. 3 ist insofern missverständlich, als sie auf  das "bewusste Zugänglichmachen von Kinderpornographie mittels Informations- und Kommunikationstechnologie" verweist. Im Gegensatz dazu spricht die englische Fassung von der bewussten Verschaffung des Zugangs mittels Informations- und Kommunikationstechnologie ("Knowingly obtaining access by means of information and communication technology,"). Die Nutzung des Begriffs "obtain" zur Beschreibung der Tathandlung, wie auch der Verweis auf die Europaratskonvention (ETS 201) spricht dafür, dass entgegen der deutschen Übersetzung nicht das Anbieten (Zugänglichmachen), sondern der Konsum (Zugangsverschaffung) kriminalisiert werden soll.
Unter Zugrundelegung der englischen Vorgabe enthält der Entwurf tatsächlich einen interessanten Ansatz. Die Kriminalisierung der Zugriffsverschaffung ermöglicht die Erfassung von Konsumverhalten, das nicht mit einer (dauerhaften) Speicherung von Daten einhergeht, sondern bei dem die Daten unmittelbar nach der Darstellung gelöscht werden. Dabei spricht der in der Entwurfsfassung enthaltene Beispielfall dafür, dass das Anschauen von Bildern auf Internetseiten, ohne diese herunterzuladen, im Regelfall bereits durch bestehende Ansätze erfasst wird. Im Falle der Betrachtung klassischer Internetseiten werden die enthaltenen Bildinformationen grundsätzlich in temporären Dateien und Cacheverzeichnissen gespeichert, so dass eine Besitzstrafbarkeit gegeben sein kann. Problematischer gestaltet sich aber die Erfassung von "stream-video". Bei diesem Verfahren erfolgt - je nach technischer Ausgestaltung - keine über die Ermöglichung der Darstellung hinausgehende Zwischenspeicherung. 

b) Kriminalisierung der Kontaktaufnahme zu Kindern
Der Richtlinienentwurf enthält in Art. 6 einen Ansatz zur Kriminalisierung der Kontaktaufnahme zu Kindern mittels Informations- und Kommunikationstechnologie zur Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs. Hintergrund ist eine als bedrohend empfundene Möglichkeit, dass Sexualtäter die Möglichkeiten elektronischer Kommunikation nutzen, um durch die Kontaktaufnahme mit Kindern sexuellen Missbrauch zu ermöglichen. Ein vergleichbarer Ansatz findet sich in Art. 23 der Europaratskonvention.

c) Internetsperren
Mit Art. 21 enthält der Richtlinienentwurf einen Ansatz zur technischen Verhinderung des Zugriffs auf Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten. Während der Entwurf der EU Kommission vorsah, dass die Mitgliedstaaten den Zugang zu Internetseiten mit Kinderpornographie sperren, legt der Alternativvorschlag des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres einen deutlich anderen Schwerpunkt. Er sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, damit Internetseiten mit Kinderpornographie an der Quelle aus dem Internet entfernt werden. Ergänzend wird es den Mitgliedstaaten freigestellt, ob sie zusätzlich eine Sperrung von Internetseiten vorantreiben. Der Alternativentwurf verweist darauf, dass die Entfernung der Inhalte Priorität haben solle.

3. Vergleich mit der Rechtslage in Deutschland
Nach deutschem Recht ist der schlichte Zugriff auf Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten nicht strafbar. Hintergrund der Strafbarkeitslücke ist die Ausrichtung des deutschen Pornographiestrafrechts am Schriftenbegriff.

Zugriff auf Inhalte: Anders als internationale Vorgaben wie die Cybercrime Konvention des Europarates und die Europaratskonvention (ETS 201) sind Tatobjekt von § 184b Abs.4 StGB nicht Inhalte, sondern Schriften. § 184b Abs. 4 S.1 StGB kriminalisiert das Unternehmen der Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften - nicht aber das Unternehmen der Besitzverschaffung kinderpornographischer Inhalte. Versucht der Täter außerhalb des Internets sich etwa einen Bildband (Schrift) mit kinderpornographischen Abbildungen oder eine DVD (Bildträger und Datenspeicher) mit einem kinderpornographischen Film zu verschaffen, greift § 184b Abs.4 S.1 StGB ein. Unternimmt es der Täter hingegen, kinderpornographische Inhalte aus dem Internet zu laden, findet die Norm keine Anwendung. Als Tatobjekt kommen nur entweder der Datenspeicher des Anbieters der Inhalte (meist die Festplatte eines Internetservers) oder der Datenträger des Täters in Betracht, auf dem er die Inhalte mit dem Download speichern möchte. Hinsichtlich des Datenspeichers des Anbieters fehlt es aber an einer Bestrebung des Täters, sich daran Besitz zu verschaffen, da er nicht am Datenspeicher, sondern an dessen Inhalt interessiert ist. Auch der lokale Datenspeicher, auf dem die Datei durch Einleitung des Download-Vorgangs gespeichert werden soll, kommt als Anknüpfungspunkt nicht in Betracht, da sich dieser regelmäßig zum Zeitpunkt der Tat bereits im Besitz des Täters befand, während § 184b Abs.4 StGB eine Neubegründung von Besitz voraussetzt.

Grooming: Auch das Grooming ist nach deutschem Recht nicht strafbar. § 176 Abs.4 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter durch Schriften auf ein Kind eingewirkt hat. Versendet der Täter eine E-Mail oder nimmt er in einem Chatforum Kontakt zu Kindern auf, so erfolgt die Einwirkung durch Inhalte, nicht aber durch Datenübertragungsvorgänge. Ebenso wie eine Verbreitung von Schriften über das Datennetz ausgeschlossen ist, sprechen gewichtige Gründe gegen die Möglichkeit einer Einwirkung durch Schriften über das Internet.

Zugangssperre: Besteht also hinsichtlich der Strafbarkeit des Zugangs zu Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten und des Groomings noch Umsetzungsbedarf, hat der deutsche Gesetzgeber bereits die rechtlichen Grundlagen für die Sperrung von Internetseiten geschaffen. Bislang wird das Gesetz allerdings faktisch nicht angewendet. Das Zugangserschwerungsgesetz wurde am 22.2.2010 im Bundesgesetzblatt verkündet und ist am 23.2.2010 in Kraft getreten. Mit Schreiben vom 17.2.2010 hat das Innenministerium dem für die Sperrung zuständigen Bundeskriminalamt mitgeteilt, dass von der Möglichkeit der Sperrung von Internetseiten vorerst kein Gebrauch zu machen ist.

Autor: Prof. Dr. Marco Gercke, Cybercrime Research Institute, Köln.



Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität v. 23.11.2001

Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse of 25 October 2007

The Stockholm Programme - An open and secure Europe serving and protecting the citizens, note 17024/09 v. 2.12.2009

Entscheidung Nr. 276/1999/EG v. 25.1.1999 über die Annahme eines mehrjährigen Aktionsplans der Gemeinschaft zur Förderung der sicheren Nutzung des Internet durch die Bekämpfung illegaler und schädlicher Inhalte in globalen Netzen

Mitteilung "Illegale und schädigende Inhalte im Internet" der Kommission vom 16.10.1996

Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates v. 22.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie

Vorschlag v. 23.3.2010 für eine Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern

Proposal of 23 March 2010 for a Directive on combating the sexual abuse, sexual exploitation of children and child pornography, COM(2010)94

Orientation vote of 14 February 2011 by EU Paliament's Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs on the proposal for a Directive on combating sexual abuse, sexual exploitation of children and child pornography

Directive of 4 November 2011 on Combating the Sexual Abuse and Sexual Exploitation of Children and Child Pornography, PE-CONS 51/11



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.01.2012 13:40

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